Dreadlocks im Stroboskoplicht

Dies ist ein neuer Teil der Kuchenbaum-Geschichte. Der Artikel hat ein eigenes Layout, deshalb nicht erschrecken, wenn die Seite erst einmal ungewohnt aussieht. Besondere Geschichten haben auch eine besondere Präsentation verdient. Wer einen aktuellen Mozilla-Browser benutzt, hat besonders viel von dem Artikel, da ich passend zum Titel von der blink-Eigenschaft Gebrauch gemacht habe. Alle anderen modernen Browser funktionieren natürlich trotzdem gut.

Dreadlocks
im Stroboskoplicht
Dies ist ein Teil der Geschichte „Kuchenbaum“ um ein Mädchen namens Ina und die Beziehungswirren mit ihrem Exfreund und ihrer Freundin Zoë. Was bisher geschah lässt sich hier nachlesen. Zum Text passende Musik von objet a gibt es hier im Player:
staub-und-schatten by objet_a
Als Zoë die Tür zu dem kleinen Durchgangszimmer, das Flur und das Zimmer, in dem sich der Kuchen befand, öffnete, trat sie in eine andere Welt. Das Zimmer war komplett abgedunkelt. Düstere Technomusik wummerte laut aus zwei Boxen. Ein halb umgeklappter Esstisch fungierte als DJ-Pult. Es war die einzige Lichtquelle – abgesehen von einem nervös blitzenden Stroboskoplicht, das jede halbe Sekunde aufblitzte. Alles lief in Zeitlupe ab. Und gleichzeitig lief auch nichts in Zeitlupe ab.
Das überforderte ihre Wahrnehmung. Viel zu nervös. Sie wollte sich hinsetzen. Reden. Oder auch nur zuhören. Gemütlich ein Bier trinken.
„Wow, was für ein Unterschied zwischen den Räumen!“, brachte sie verwirrt vor, als sie in dem schumrig beleuchteten Zimmer angekommen war. Es gab keinen Kuchen mehr. Die fragenden Gesichter der Anwesenden erwiderte sie mit aufklärenden Worten über den abgedunkelten Tanzraum nebenan. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Alle sprangen von den Sofas auf und stürmten auf die improvisierte Tanzfläche.
Wieder bemerkte Zoë, dass sie einige Zeit gedankenlos ins Leere gestarrt hatte.
„Na los, gib dir deinen Ruck!“, sagte sie laut. Ihre Stimme klang trocken. Vielleicht würde es nebenan wenigstens Getränke geben?

Zwei Minuten später trank sie eisgekühlten Wodka aus der Flasche und tanzte zu der elektronischen Musik. Jedes Hämmern des Basses eine Körperbewegung, jedes Stroboskopaufblitzen ein neuer Denkzettel gegen Stillstand.
Obwohl sich viele Menschen in dem kleinen Raum aufhielten, waren alle seltsam stumm. Hier und da ein Lachen jener, die ihre verzögerten Bewegungen im Spiegel betrachteten, aber sonst redete niemand. Die Musik zwang zum Schweigen.

Zoë hatte das merkwürdige Gefühl, in einem stillen, gar lautlosen Raum zu sein. Natürlich nahm sie die Musik wahr. Unterschwellig. Es war mehr ein Fühlen als ein Hören. Und sie tanzte auch, so schien es ihr, unterbewusst. Ihre Gedanken hallten in ihrem Kopf, als sei ihr Schädel eine Kathedrale.
Wieder reichte ihr jemand die Wodkaflasche. Sie nahm gleich einen großen Schluck, um sich dann bei der Person zu bedanken. Lächelnd nickte das Mädchen ihr zu, nur um dann die Augen zu schließen und weiter zu tanzen. Eine schlanke, fast schon dürre Gestalt, die so tanzte, als würde sie keine andere Art der Bewegung kennen. Sie hatte lange Dreads, die ihr bis unter die Schulterblätter reichten. Obwohl sie in einen Zopf zusammen gehalten waren, flogen sie beim Tanzen wild herum. Zoë faszinierte der Anblick unter dem Zeitlupeneffekt des Strobos. Und das entspannte Gesicht des Mädchens, das sie beim Tanzen an den Tag legte.

Zoë zog ihren Pullover aus. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr warm würde und trug ein weißes Top drunter. Immerhin war es sauber.

Langsam versuchte sie sich ihr zu nähern. Zentimeterweise schob sie sich in ihre Richtung, um unmerklich zu wandern, während ihres Tanzes. Sie wusste nicht, ob sie das Mädchen antanzen wollte. Immerhin war sie hier nicht in einer Disko oder einem versifften Club, in dem es jedem egal war, was um ihn herum passierte, sondern in einem kleinen Zimmer mit wenigen Leuten, die einander alle mehr oder weniger gut kannten. Und auch wenn sie unter den Leuten hier keine Homophobie vermutete, so waren direkte Anmachen doch schwieriger, wenn sie nicht einfach 20 Meter in eine andere Richtung verschwinden und dort weitertanzen konnte.

Das Mädchen war total in die Musik versunken. Sie öffnete die Augen höchstens, wenn das Lied wechselte oder jemand sie berührte. Jedes Mal, wenn sie Zoë wahrnahm, lächelte sie. Einmal legte sie ihre Hand an Zoës Hals und schaute ihr in die Augen. Dann begann das nächste Lied und sie war wieder von einem Panzer aus Musik und Bewegung umgeben, den Zoë nicht durchdringen konnte. Oder nicht durchdringen wollte.

Irgendwann tippte das Geburtstagskind sie wieder auf die Schulter. Ein Blick und sie wusste, was gemeint war. Sie folgte ihm durch den schmalen Gang in sein Zimmer. In der Küche saß eine kleine Gruppe um eine Flasche Wein. Ein abschätziger Blick traf Zoë. Ob es wegen der Musik, zu der sie offensichtlich getanzt hatte, oder wegen dem Joint, den sie weniger offensichtlich jetzt rauchen würde, konnte sie nicht beurteilen. Vielleicht hatte der Person auch einfach nur ihre Kleidung oder Frisur nicht gefallen.

Zoë ließ sich in ein tiefes Sofa sinken. Sie wusste, dass sie wohl für einige Zeit nur schwerlich aufstehen können würde. Das Gras hatte außer ihr und dem Gastgeber vier Personen angelockt. Auch das Mädchen mit den Dreads war ihnen gefolgt. Der Typ, der neben ihr auf dem Boden saß, ein kleiner, rundlicher Student mit merkwürdigem Akzent redete die ganze Zeit davon, dass man jetzt „einen Ofen“ bauen würde. Was war das wieder für eine merkwürdige Konsumform? Oder war das nur einer der vielen seltsamen Ausdrücke für einen Joint?

Das Mädchen blickte sie an. Und das nicht nur, als sie inhalierte, sondern auch, als der „Ofen“ wieder weiter gewandert war. Zoë lächelte, als ihre Blicke sich trafen. Sie lächelte zurück. Was bedeutete dieses Lächeln? Sie spürte weiterhin die Blicke des Dreadmädchens auf ihr, aber was für Absichten hatte sie? Zoë fand es schwer, ihre eigenen Absichten zu kommunizieren. Was mit Sprache schon schwierig war, war nonverbal fast unmöglich, wenn man nicht zu platt rüberkommen oder gar übergriffig werden wollte. Sie wusste auch nicht, wie sie das sonst gemacht hatte. Wahrscheinlich waren die Menschen einfach auf sie zugegangen. Oder sie hatte eindeutigere Zeichen gehabt. Aber war dieses Lächeln nicht schon eindeutig genug? Musste sie darauf warten, eine Hand auf ihren Schenkeln zu spüren, um sich wirklich „sicher“ sein zu können, dass sie es riskieren konnte, mehr als nur Blickkontakt zu wagen?

Nachdem der „Ofen“ zu Ende geraucht war, entschieden einige der wenigen noch verbliebenen Gäste, dass es jetzt an der Zeit sei, ein Videospiel zu spielen. Laut flimmerte der Bildschirm und bunte Comicfiguren plärrten Unverständliches. Zoë schloss kurz die Augen. Ihr war das zu viel. Für einen kurzen Moment konnte sie den flackernden Fernseher ausblenden. Trotz der lauten Geräusche hatte sie das Gefühl, vollkommen ruhig zu werden. Sie versank im Sessel.

Sie riss die Augen auf. Eine warme Berührung hatte sie aus ihrem merkwürdigen, tranceähnlichen Zustand geholt. Sie blickte auf ihren Unterarm, auf dem eine zierliche Hand lag. Giftgrün lackierte Fingernägel. Ihr Blick schweifte an der Hand entlang, den Arm, zu der sie gehörte, hoch, bis sie dem lächelnden Dreadmädchen in die Augen sah.
„Mir ist das hier drinnen zu anstrengend. Ich geh ins Bad. Kommst du mit?“

Ein Kommentar zu “Dreadlocks im Stroboskoplicht

  1. Immer diese Leute, die auf Partys das Bad blockieren…
    Hat echt Spaß gemacht, zu lesen – großartig!

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