Es fällt mir unglaublich schwer, mit Nicht-Luxemburger_innen über die aktuelle Staatskrise in Luxemburg zu reden, weil ich dafür immer bis mindestens in die 1980er ausholen muss. Ich versuche, das politische Tagesgeschehen in Luxemburg zu verfolgen, aber selbst für mich fällt es schwer, durchzublicken. Längst haben sich eine Serie von Attentaten in den 1980ern, der luxemburgische Geheimdienst und diverse vermutete oder bewiesene Gesetzesüberschreitungen von Ministern als ein miteinander verflochtenes Ganzes erwiesen. Ich werde versuchen, dieses Wollknäuel möglichst kurz zu entwirren.
de Bommeleeër
1984 und 1985 wurden 18 Bombenanschläge in Luxemburg verübt, bei denen direkt niemand getötet wurde. Diese Anschläge sind als „Bombenlegeraffäre“, Affär Bommeleeër oder einfach „de Bommeleeër“ bekannt geworden und wurden bis heute nicht aufgeklärt. Seit Februar 2013 läuft ein Prozess gegen zwei Polizisten, die mit zwei inzwischen verstorbenen Kollegen als Mitglieder eines Sondereinsatzkommandos die Anschläge verübt haben sollen. Viele luxemburgische Medien haben auf ihren Internetseiten mittlerweile spezielle Kategorien, in denen sie über den Prozess, aber auch über die Geschichte der Anschläge, berichten (Land, Wort, L’essentiel, RTL, revue). Auch 3sat hat eine Dokumentation zu dem Thema ausgestrahlt. Wie weit der luxemburgische Geheimdienst und/oder der luxemburgische Arm von „Stay behind“ in die Attentate verwickelt waren oder sie gar gänzlich geplant und ausgeführt haben, ist Gegenstand von Spekulationen.
Der Geheimdienst
Der luxemburgische Geheimdienst wurde am 30. Juli 1960 als Service de renseignements (heute heißt er Service de renseignement de l’État, abgekürzt SREL) gegründet. Die Anfangsjahre scheinen eher peinlich gewesen zu sein. Verstrickungen zur Bombenlegeraffäre gibt es mehere: der SREL soll bei einer versuchten Geldübergabe dabei gewesen sein, er hat 125 Beweisstücke an FBI und CIA weitergeleitet, von denen 86 nicht mehr aufgetaucht sind, er soll während den Attentaten den Chef der Gendarmerie abgehört haben und illegal Polizeibeamte nach Dienstschluss für sich „Überstunden“ haben machen lassen. Der Generalstaatsanwalt Robert Biever hat im Bommeleeër-Prozess ausgesagt, er (und andere Mitglieder des Justizapparates) sei vom SREL (bzw. von von diesem angeheuerten Privatdetektiven) während den Ermittlungen zum Bommeleeër in Jahren 2006/2007 überwacht worden. Nachdem im November 2012 bekannt wurde, dass der damalige SREL-Chef Marco Mille (heute bei Siemens) den Premierminister und damit seinen politischen Vorgesetzten Jean-Claude Juncker mittels einer Spionageuhr aufgenommen hatte, wurde im Dezember eine parlamentarische Untersuchungskommission eingerichtet, die seitdem beinahe täglich mehr kuriose und erschütternde Tätigkeiten des Geheimdienstes zu Tage bringt: Innenpolitische Spionage, ein geheimes Archiv, von dem selbst der Premierminister nichts wusste, illegale Abhöraktionen auf In- und Ausländer_innen, der Versuch, eine Gruppe der „Geheimdienste der kleinen Länder Europas“ zu gründen, angebliche illegale Aufnahmen von Gesprächen zwischen Jean-Claude Juncker und dem Großherzog, „Wirtschaftsmissionen“ im Irak und auf Kuba, und eine Ermittelung gegen Generalstaatsanwalt Robert Biever wegen Pädophile, was de-facto bedeutet dass der SREL – ob eigenmächtig oder im Auftrag eines anderen – zumindest über eine gewisse Zeit hinweg eine Geheimpolizei gebildet hat und seinen legalen Rahmen weit überschritten hat.
Genaueres zu den einzelnen Affären und eine übersichtliche Timeline findet sich im SREL Wiki.
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Die Politik
Die SREL-Kontrollkommission des Parlaments (nicht zu verwechseln mit der Untersuchungskommission, die erst Ende 2012 gegründet wurde) wurde nach den Wahlen 2009 anonym gewarnt, dass der Geheimdienst seine legalen Kompetenzen überschreiten würde. Auch die illegale Aufnahme eines Gespräches zwischen Juncker und Mille 2007 wurde der Kommission zu diesem Zeitpunkt bekannt, sie hat jedoch keine (juristischen oder politischen) Schritte gezogen. Jean-Claude Juncker selbst wusste bereits 2008 davon und hat im März 2009 den damaligen Vorsitzenden der Kontrollkommission informiert. Er hielt es nicht für nötig, Mille zu entlassen, da dies seiner Meinung nach die Sicherheit des Landes gefährdet hätte, weil die Entlassung eines Geheimdienstchefs mit einem Vertrauensentzug verbündeter ausländischer Geheimdienste einhergehen würde. Juristisch ist die illegale Aufnahme von Mille mittlerweile verjährt.
Junckers Reaktion auf neue Enthüllungen der SREL-Untersuchungskommission oder der Medien (die, allen voran der öffentlich-rechtliche Sender 100komma7 eine beispiellose Aufklärungsarbeit leisten) waren meist gleich: Er zeigte sich irritiert, dass der Geheimdienst im öffentlichen Interesse steht, gab an, nichts von diesen Dingen gewusst zu haben, bezeichnete sie als haltlose Gerüchte oder halt einfach als „geheim“.
Am Donnerstag, den 13. Juni 2013, fand es im luxemburgischen Parlament eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen den ehemaligen Justiz- und jetzigen Finanzminister Luc Frieden und einen gegen die gesamte Regierung statt. Grund dafür waren Aussagen von Robert Biever und Polizist_innen, dass Luc Frieden sich während seiner Zeit als Justizminister aktiv in laufende Bommeleeër-Ermittelungen eingemischt haben soll (Worüber es bereits im April Gerüchte gab, die Frieden öffentlich dementiert hatte). Die Koalition aus konservativer CSV und sozialdemokratischer LSAP ließ beide Anträge abblitzen. Die Sozialdemokrat_innen konnten sich offenbar nur dazu durchringen, einen rügenden Antrag zu formulieren, für den dann auch nur sie stimmten.
Worüber ich eigentlich schreiben wollte …
In der oben erwähnten Parlamentssitzung vom 13. Juni gab es zwei meiner Meinung nach spannende Aussagen. Die erste kam von Premier Jean-Claude Juncker, der sinngemäß sagte, er habe die Verantwortung für den SREL, sei aber nicht Schuld, wenn sich zwei bis drei oder fünf bis sechs (seiner maximal 60) Mitarbeiter_innen „daneben benehmen“ würden. Das ist ein interessantes Verständnis von politischer Verantwortung. Juncker zeigte sich in Vergangenheit persönlich entrüstet und als „Opfer“ der Spionagenuhrenaufnahme von Mille – tatsächlich hat er (und die Kontrollkommission) ihn aber – ob mit Absicht oder nicht – so lange gedeckt, dass die Tat nun verjährt ist.
Die zweite bemerkenswerte Aussage kam vom konservativen CSV-Fraktionsführer Michel Wolter. Er wollte wissen, wer dem öffentlich-rechtlichen Sender 100komma7 Dokumente geleakt hätte und „bot“ dem Sender an, den Quellenschutz für die CSV-Fraktion „aufzuheben“. Der genaue Wortlaut lässt sich hier nachhören. In bisher zwei Pressekonferenzen hat Wolter beteuert, er hätte den Quellenschutz nie in Frage gestellt und wundert sich nun, dass diverse Journalismusverbände ihn kritisieren.
Et geet an eisen Aen ëm ganz serieux Saach. Mir entbannen den 100komma7 vun der Protection des Sources, mir froen déi aner Fraktiounen heibannen, dat selwecht ze maachen.
(Es geht in unseren Augen um eine ernsthafte Sache. Wir entbinden 100komma7 vom Quellenschutz und bitten die anderen Fraktionen, das auch zu tun.
So eine Aussage im Parlament, als Fraktionsführer der größten Fraktion, im Namen der gesamten Fraktion zu tätigen ist eine (zumindest implizite) Aufforderung, den Quellenschutz eines öffentlich-rechtlichen(!) Mediums (per Gesetz oder anders?) aufzuheben. Das ist die in meinen Augen einzig naheliegende Erklärung. Die andere wäre, dass Michel Wolter, der fast sein halbes Leben als Abgeordneter verbracht hat, nicht weiß was „Quellenschutz“ ist und dass dieser nicht einfach so aufgehoben werden kann. Wie seine Äußerungen vom 13. Juni mit seiner heutigen Erklärung, er habe den Quellenschutz nie in Frage gestellt, zusammenpassen, versteht wohl nur er selbst.
Und so geht es gerade zu in Luxemburg. Der Geheimdienst hat allerlei Dreck am Stecken, niemand will politische Verantwortung übernehmen und die Sozialdemokrat_innen freuen sich seit dem 13. Juni sehr explizit über jedes Gesetz, über das abgestimmt wird. Am Sonntag ist luxemburgischer Nationalfeiertag, eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Jugendparteien und -organisationen plant eine Demonstration und fordert neuwahlen. Ich habe ihren Pressesprecher am Montag interviewt.
Und gebloggt wird über das Thema natürlich auch nicht wenig.
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