Nun ist er also vorbei, der vor allem in Deutschland übermediatisierte G8-Gipfel in Heiligendamm.
Es gab reichlich Kritik – an dem Gipfel selbst wie an den Demonstrationen. Alles nur heiße Luft?
Die G8, also die Gruppe der Acht, das sind Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Italien, Russland, das Vereinigte Königreich, die USA und die EU. Halt, irgendwie klingt das nicht richtig. Die EU ist nicht wirklich ein Land, hat aber trotzdem sogenannten «Beobachterstatus». Den hatte Russland vor seinem offiziellen «Eintritt» in die Clique, die sich übrigens «rein informell» trifft, ebenfalls. Aber nicht nur das klingt irgendwie komisch: Die Gruppe der Acht war ursprünglich mal die Gruppe der acht größten Industrienationen, gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE).
Nach diesen Regeln dürften Kanada und Russland aber gar nicht erst mitspielen: Sie sind von «Schwellenländern» wie die Volksrepublik China (4. größtes BNE) und Indien (Platz 10) sowie Spanien überholt worden.
Das interessiert bei den G8 aber scheinbar niemanden. Muss es auch nicht, denn die G8 ist ein Club ohne rechtliche Grundlagen, irgendwelche Verträge oder sonstige Abkommen. Es ist eigentlich genauso, als ob ich mich mit ein paar Freunden in einer Kneipe treffen würde und Entscheidungen treffen würde. Nur, dass das wahrscheinlich keine 100 Millionen Euro kosten würde.
Von diesen 100 Millionen Euro gingen alleine 15,4 Millionen für das Pressezentrum, das man in einer Metropole wie Kühlungsborn (7400 Einwohner) sicherlich auch in Zukunft dringend benötigt, drauf. Und damit auch ja keine kritischen Stimmen zu den mächtigen der Welt durchdringen konnten, wurde ein Zaun gebaut, der 12,5 Millionen Euro kostete. So ein Zaun kann man auch sicher immer gebrauchen. Vielleicht vermietet man ihn einfach an Globalisierungsgegner, die dann dort für den nächsten Gipfel in Japan trainieren können?
Die gute Nachricht: Es bleiben noch 72,1 Millionen für Schnittchen, 1100 Bundeswehrmitglieder als Bodyguards für die Mächtigen und hässliche Sitzgelegenheiten für den Fototermin.
Und wofür all dieses Geld? Für ein paar informelle Gespräche über Afrika, den Klimawandel, sogenannte «Schwellenländer», internationale Finanzmärkte und Produktpiraterie. Mal abgesehen davon, dass diese Probleme nicht von den G8 (alleine) gelöst werden können, sie viele davon auch selbst ausgelöst haben und gegenwärtig noch verschlimmern: Könnte man das nicht per Telefonkonferenz bereden?
Wieso braucht es einen gigantisch inszenierten Gipfel, der nicht nur Millionen verschlingt, sondern auch noch in realen, politischen Auswirkungen völlig nutzlos ist? Auf G8-Gipfeln werden keine Verträge geschlossen, und Entscheidungen, die gefällt werden, sind oft nur schwammige Formulierungen, die niemanden helfen, aber einen guten Eindruck machen sollen. Der Schein ist alles. Lächelnde Politiker, großartig klingende Versprechungen und Friede-Freude-Eierkuchen Stimmung überall. Kunststück, wenn man kritischen Journalisten die Akkrediation verweigert und sich die Demonstranten mit einem 12km-Zaun vom Leibe hält.
Die Behauptung, dass Probleme auf einem G8-Gipfel nicht gelöst werden können, stammt übrigens nicht von mir, sondern von der diesjährigen Gastgeberin: Kanzlerin Angela Merkel meinte ganz richtig, dass weit reichende Beschlüsse in Heiligendamm nicht möglich seien.
Herausgekommen ist auch nur der schwammige Beschluss, «ernsthaft in Betracht zu ziehen», die weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 um 50 % zu senken.
2050, das ist in 43 Jahren. Vor 43 Jahren lag der globale C02-Ausstoß noch unter 335 Teilen pro Million Volumenanteil (ppm), heute liegt et bei 380 ppm. Wie der C02-Ausstoß 2050 aussehen wird, mag ich mir gar nicht ausdenken. Weltweit soll die Temperatur bis dahin um 1 bis 2 ° C steigen.
Neben Terrorismus wird nun die Produktpiraterie ein neuer Motor für die Realisierung von Orwells «Utopie» 1984: Ein internationales, vernetztes Zoll-Informationssystem soll zur Verhinderung der Produktpiraterie aufgebaut werden.
Dann wurde noch beschlossen, Medikamente für Afrika zu spenden. Ein Sprecher der Afrikanischen Union meinte, der Kontinent wolle sich für die Welt öffnen. Dabei liegt das Problem eher anders: Afrika exportiert seine Nahrungsmittel und importiert billigere, konkurrenzlose Produkte aus Europa. Die Produzenten können sich diese jedoch nicht leisten. Ein Großteil der hungernden Bevölkerung auf der Erde produziert Nahrungsmittel. Doch über so etwas spricht man wohl nicht auf dieser auf Hochglanz polierter Politshow, bei der eigentlich nur eins zählt: die schauspielerischen Fähigkeiten der Politiker. Und wenn, dann unternimmt man nichts dagegen, eher im Gegenteil.
Bush und Putin sprachen außerdem über die «interessante Idee», Abwehrraketen gegen den unsichtbaren Feind in Aserbaidschan zu stationieren und einen gesundheitsschädlichen Radar für die Zielerfassung zu benutzen.
Bei den Finanzmärkten konnte man sich nicht einigen und die «Schwellenländer» will man künftig mit einbeziehen. Eigentlich nett, auch mal mit der Wirtschaftsmacht China reden zu wollen. Ansonsten ist nichts entschlossen worden. Aber eine tolle Show haben uns die Politiker geliefert. Man versucht krampfhaft, die Herrscher der freien Welt zu spielen, was aus zwei Gründen nicht gelingt: das deutsche Grundgesetz, der Schengen-Vertrag usw wurden reihenweise außer Kraft gesetzt, um die Kritik am Gipfel klein zu halten und die G8 sind nicht mehr die Herrscher der Welt, auch wenn sie noch so gerne überall westliche «Werte» hätten.
Traditionell gibt es zu jedem G8-Gipfel sehr große Proteste. Diese begannen das Wochenende vor dem Treffen in Heiligendamm und wurden von den Massenmedien hübsch medial aufbereitet. Wenn es gerade keine süßen kleinen Eisbären gibt, so sorgen Steine werfende Autonome und Randale auch für Quoten. Wenn die Steine werfenden Autonomen nur eine Minderheit sind und der größte Teil der Proteste zumindest auf Demonstrantenseite friedlich verläuft, ist das zwar eine Verknappung der Tatsachen, aber im Fernsehen muss man halt verknappen.
Und Zeitungen haben heute kein Geld und Journalisten allem Anschein nach keine Moral mehr und kopieren hübsch Falschmeldungen der dpa. So zum Beispiel das Gerücht – oder sollte man sagen: die Lüge, ein Redner habe die Demonstranten zur Gewalt, ja, zum Krieg aufgefordert. Die dpa zitierte wie folgt: Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.
Walden Bello, ein philipinischer Globalisierungsgegner hat sich jedoch mit Bezug auf den Irakkrieg folgendermaßen ausgedrückt:
Two years ago they said: Do not bring the war into the discussions. Just focus on poverty reduction. Well, we say: We have to bring the war right into this meeting. Because without peace there can be no justice.
Es dauert drei Tage, bis die dpa den Fehler korrigiert. Unzählige Zeitungen übernehmen den Satz und phantasieren sich teilweise einen Kontext drumherum. Stefan Niggmeier hat auf seinem Blog die Chronologie dieser Falschmeldung zusammengefasst.
Desweitern las man Nachrichten über säuresprühende Clowns, die Polizisten mit ihren gefährlichen chemischen Waffen anspritzten. Es stellte sich heraus, dass die Polizisten ein wenig Seifenlauge in die Augen bekommen hatten und deshalb ein Brennen in den Augen verspürten. Der Traum der brutalen Kampfclowns platzte wie die Seifenblasen, die die durchaus reale „Rebel Clown Army“ im Rahmen ihres kreativen Widerstands auf die Polizisten pustete.
Die Krawalle, die es in Rostock gegeben hat, erscheinen in einem anderen Licht, nachdem herausgekommen ist, dass die Polizei offenbar Agents Provocateurs einsetzte, um die Stimmung unter den Gegner anzuheizen. Bei einer Blockade vor dem Zaun hatten mehrere Demonstranten verdeckte Ermittler in Autonomenkleidung, welche zur Gewalt aufriefen und sich aggressiv verhielten, als eben solche Agents Provocateurs erkannt und nach einigen Rangeleien der Polizei übergeben, welche diese in ihren Reihen aufnahm. Solche Agents Provocateurs gab es schon in Deutschland und auch beim Gipfel in Genua 2001 ist die Situation wegen solchen „Anheizern“ eskaliert. Die Spezialeinheit Kavala, welche speziell zum Gipfel geschaffen wurde, dementiert die Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft Rostock jedoch erwähnt eine Anzeige.
Ich will jedoch keineswegs sagen, dass es nur Polizisten waren, die Steine in Rostock geworfen haben und die Steinwerfer auch nicht verharmlosen. Gewalt ist bei solchen Protesten eher kontraproduktiv und nützt eigentlich nur einem: jenen Orwell-orientierten Politikern, die ständig schärfere Überwachung fordern. Friedliche Blockaden, kreative und «lustige» Protestformen wie zB. die Rebel Clowns Army nützen mehr.
Der Gipfel und die Proteste hatten schon zu genügend Maßnahmen getroffen, bei denen man schon zweifeln kann, ob sie noch mit dem Grundgesetz oder dem, was wir allgemein unter einer Demokratie verstehen, vereinbar sind.
Am 9. Mai wurden 42 Gebäude in ganz Deutschland durchsucht, weil «Verdacht der Bildung terroristischer Vereinigungen» bestand. Gefunden wurde dabei nicht viel. Einige Anleitungen, Wecker, Uhren (sic!), Drähte und größere Feuerwerkskörper. Ich bin mir relativ sicher, dass man sowas auch in meinem Keller finden würde, mit Ausnahme vielleicht der Feuerwerkskörper. Einige Böller liegen aber sicher bei vielen Leuten um, die dadurch trotzdem keine Terroristen sind.
Ebenso unverhältnismäßig und überzogen wie die Durchsuchungen waren die Brieföffnungen in Hamburg. Dort wurde auch versucht, Internetcafébesitzer dazu zu überreden, Überwachungskameras in ihren Lokalen aufzustellen, um die Daten danach auszuwerten.
Es scheint fast so, als würde man sich nach Jahren des Wartens auf islamistisch motivierten Terror nun linksextremen Terrorismus wünschen, um endlich den totalen Polizei- und Überwachungsstaat einrichten zu können und alles mit der wunderbaren Begründung, es sei doch bloß für die Sicherheit.
Das Grundgesetz und insbesondere Recht auf Versammlungsfreiheit sowie der Schengener Vertrag sind offenbar Dinge, die man sich beliebig zurechtbiegen kann, wenn man erst einmal an der Macht ist. Die Versammlungsfreiheit rund um den Zaun wurde nämlich aufgehoben und der Schengener Vertrag für die Dauer des Gipfel aufgehoben, um Grenzkontrollen durchführen zu können.
Auch während dem Gipfel gingen die Menschen- und Grundgesetzverletzungen munter weiter: Die festgenommenen Demonstranten wurden in sogenannten Gefangensammlungsstellen, im Polizeijargon «Gesa» genannt gebracht, wo sie bei ständiger Deckenbeleuchtung in Käfigen gehalten wurden. Ihr Recht auf Rechtsbeistand konnten sie nicht wahrnehmen oder wurden teilweise nicht einmal darauf hingewiesen, dass sie solche Rechte besitzen.
Manchen Politikern scheint das noch nicht genug negativer Publicity für die «freie westliche Welt» zu sein, forderten doch Mitglieder der CDU/CSU, die Spezialeinheit GSG9, die eigentlich für die Terrorbekämpfung zuständig ist, gegen den «schwarzen Block» einzusetzen.
Man darf auch die Frage stellen, was die Demonstrationen bringen, vor allem in Verbindung mit den einseitigen Medienberichten. Eigentlich sollte eine Demo die Menschen über die Regierungen aufklären bzw. die Kritik an der G8 «an den Mann» bringen. Inhaltlich berichteten die wenigsten Medien, lieber wurde ausführlich über Rangeleien der Demonstranten mit der Polizei oder Verfolgungsjagden auf hoher See berichtet. Da die Gipfeltreffen schon seit längerem nicht mehr in großen Städten stattfinden, sondern weit abgelegen und diesmal auch noch von einem Zaun geschützt, dringt die Kritik nicht zu den Staatschefs durch. Eine richtig erfolgreiche Demonstration müsste so laut sein, dass Bush, Merkel und Co. ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen und die Zuschauer inhaltlich erreichen.
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, zu zeigen, dass nicht jeder mit diesen Regierungen, ihren Entscheidungen und Einstellungen zufrieden ist. Und in einer Demokratie drückt man diese Meinung eben nicht bloß durch wählen aus, sondern auch durch Demonstrationen oder sonstige öffentliche Meinungsäußerungen.
Was hat der Gipfel nun gebracht, außer ein wenig heißer Politik-Luft, 50.000 bis 80.000 Gipfelgegnern und einer Menge sehr fragwürdiger Repression gegen die Demonstranten?
Nicht sehr viel. Die Herrscher der «freien westlichen Welt» haben wieder einmal gezeigt, wie unwillig sie sind, sich Kritik zu stellen, haben eine perfekte Show mit viel Lächeln und Versprechungen abgeliefert, Bob Geldorf und Bono konnten mal wieder ein Konzert veranstalten, und nebst der linken und autonomen Szene meldete sich auch der Papst zum Gipfel zur Wort.
Der Gipfel war also fast so schön wie die Fußball-WM: ein Ereignis für die ganze Familie. Nur dass es diesmal keine Gewinner gab, sondern bloß Verlierer.
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