Es könnte sein, dass die Internetbude und das freie WLAN hier auf dem Campus ab morgen nicht mehr existiert. Ich hoffe, dass dem nicht so ist und die Geeks den Kampf wenigstens noch vier Wochen lang aufrechterhalten (Aprés moi le déluge!), sonst werde ich wohl nicht mehr so komfortabel ins Internet können wie bisher.
Wie dem auch immer sein, eine Möglichkeit gibt es immer, vor allem habe ich ja zumindest einen freien Hotspot in der Stadt gefunden, aber komfortabler wäre es schon, wenn das ganze hier noch immer funktionieren würde. Mal sehen.
Mir gehts ansonsten gut, auch wenn mir die Zustände in Bad und Küche immer mehr auf die Nerven gehen.
Edit 0807011200: Noch geht alles. Scheint so zu bleiben. Gut so :)
Monthly Archives: June 2008
Podcast: Angscht a Schrecken zu Marseille
Fünf Wochen in Marseille klingen eigentlich gar nicht so schlecht. Sommer, Sonne, Meer und vielleicht manchmal auch ein ganz klein wenig arbeiten. So hatte ich mir das vorgestellt. Und gleich bei meiner Ankunft sollte ich feststellen, dass dem nicht ganz so war und auch in der Metropole der Provence Angst und Schrecken regierten…
[audio:http://media.switchpod.com//users/angschtaschrecken2008/angschtaschrecken70.mp3]
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Calanques
Calanaques sind Mittelmeerfjorde. Wegen der erhöhten Brandgefahr darf man sie bei windigem (=angenehmen) Wetter nicht betreten. Deshalb kann ich heute nicht das arbeiten, was eigentlich vorgesehen war, aber so schlimm find ich das eigentlich gar nicht, muss ich sagen. Hier noch ein paar Fotos:
Und so sieht es aus, wenn ich aus dem Fenster von meinem Kabuff Zimmer schaue (falls ich die Rollläden dann mal hochziehe, was wegen der Hitze nicht so oft passiert.)
(Alle Fotos sind mit einer relativ schrottigen Kompaktdigitalkamera gemacht worden, aber seis drum.)
Quelle horreur
Was für ein Horror, grob übersetzt, meinte gestern eine Frau im Supermarkt, als zwei Mädchen Hand in Hand an ihr vorbeigingen. Ich war mir erst nicht sicher, ob die Person mit dem Kurzhaarschnitt weiblich sei, aber als ich näher war, sah ich dann, dass es sich offensichtlich um ein lesbisches Päarchen handelte. Ich fühlte mich merkwürdig, weil ich die erschreckende Aussage der Frau mitbekommen hatte und gleichzeitig irgendetwas in meinem Gehirn so geschaltet ist, dass ich Lesben erstmal „süß“ finde. Also eine komische Mischung von grundlosem Anhimmeln und einer Solidarität, die ich nicht kommunizieren konnte (oder nicht wusste, wie.)
Und dann stell ich mir Fragen. Nicht nur über mein eigenes Verhalten, sondern auch darüber, wie solche Äusserungen zustande kommen. Wieso wird Homosexualität als etwas “schlimmes”oder ekliges empfunden? Und wieso finde ich das bei Mädels „süß“ und bin zumindest der Meinung, dass es sich hierbei um eine Art Verbundenheit, vielleicht ausgelöst durch relativ intime persönliche Erfahrungen mit Lesben/Bi-Mädchen und nicht um ein Pornoklischeedenken handelt?
Die Beiden sahen auf jeden Fall glücklich aus, und im Nachhinein freut mich das vielleicht am meisten.
Das alles sind Fragen, die mich beschäftigen, hier in Marseille, wenn ich nicht gerade durch Landschaften wie diese hier stolpere:
Ina Marseille Sessions – Session 1
Ich habe das hier gestern in/außerhalb einem Strassencafé geschrieben, und wie der Titel verrät, hat das hier etwas mit meinem Ina-Epos zu tun. Es ist ein Entwurf, aber ich mag nicht nur „Es ist sooo heiß“-Postings schreiben und gerade dieses Stück kann auch für sich stehen. Aber es ist nicht meine Schreibe und ich weiß nicht, ob ich es gut finde. Ich bin da wirklich ohne Meinung. Ich hatte zwei süße Mädchen gegenüber sitzen und habe mich mehr auf das Lippenpiercing der Einen konzentriert als wirklich auf das Gedicht zu achten. Aber es ist eine Richtung. Und weil Schreiben auch immer mit Verbessern zu tun hat, bitte ich heute mal ausdrücklich um Feedback. Harte Bandagen. Wegen mir auch Rechtschrebfehler, wenn euch sonst nichts einfällt. Und ja, es ist von zwei Verliebten geschrieben, also darf es schmalzig sein. Und ja, Ginsberg hallt immer noch in meinem Kopf nach.
[Session #1 – 0806221904 Marseille, irgendwo in der Nähe des alten Hafens]
Sanfter Sommerwind wispert einsame Botschaften der Sterne
in die Ohren engumschlugener Körper, stöhnend und nassgeschwitzt
Sprache nur aus Bassnoten lässt Trommelfelle vibrieren
gemeinsamer Takt verbindet über Körpergrenzen
das, was zusammengehört in dunkler Nacht
an der Küste, Grenze zur Unendlichkeit des Ozeans
an der Küste, Ziel der mystischen Reise
an der Küste, voll der Liebe und des Schweisses
an der Küste, Anfang, nicht Ende der Reise
an der Küste, wo nur Sand ein Bett bildet
an der Küste, Ursprung der gemeinsamen Gedanken
Körper nur aus Zungen und Fingern und Löchern
Alles hier ist Liebe und Zärtlichkeit und Sex und Extase
Alles hier ist Inpiration und Idee
Alles hier ist Schwermut und Euphorie und Melancholie und Sinnlichkeit
Alles hier vibriert im Lied der Sterne
Kein Brunnen, in den man hinabsteigen muss
alles liegt offen, alles Geheimnisse gelüftet
kein Fluss, der die Geschlechter trennt
alle Teile fügen sich nahtlos zusammen
kein Käfig, die Vögel zu bewahren
alle Geister fliegen hoch unter diesem Himmel
Dieser Moment gehört den Verbundenen
auf ewig festgehalten auf Papier und im Geiste
Geheimniss für alle Uneingeweihten
verschlossen im Herzen des vereinten Körpers
Alles zerfliesst in Sinneseindrücken
Geist und Körper zu oranger Masse
lieblicher Stoff der Extase
erstarrt zum Denkmal für diesen Moment
Wifilos in Marseille
Ich bin seite heute morgen, Viertel nach Fünf in Marseille und habe bis jetzt folgendes feststellen können:
Es gibt hier nirgendwo WiFi. Endweder sind die Netze verriegelt oder man muss zahlen ODER man kann sich nicht verbinden. So passiert im MacDoof hier, den ich tatsächlich auf der Suche nach Netz betreten habe. Deshalb muss ich mich jetzt auch mit einer nervigen AZERTY Tastatur herumplagen.
Es fühlt sich hier an wie in den Ferien. Vielleicht habe ich als Kind so oft in Südfrankreich Ferien gemacht, dass sich alles hier instinktiv nach Ferien anfühlt, aber ich werde hier arbeiten müssen (wie schwer das wird, wird sich noch herausstellen…)
Nachtzüge sind ohne irrationale Angst vor Passkontrollen sehr viel entspannter, trotzdem habe ich nach meiner Ankunft gegen Sieben in meiner Wohnung erstmal ne Runde geschlafen.
Ansonsten sieht die Stadt sehr hübsch aus – das werden sicher spannende fünf Wochen! Es sind 29 °C, am Dienstag soll es regnen, ich glaube das nicht!
Eis auf dem Mars!
Lissabon und das Ende der Welt
Gibt man dem Volk die Möglichkeit, sich auszudrücken, bereut man es danach oft. Sei es denn, man erpresst das Volk vor dem Referendum wie vor nicht allzu langer Zeit der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker, der den Luxemburgern mit seinem Abtritt drohte, sollte es entgegen seine Empfehlung gegen die zur Wahl stehende EU-Verfassung wählen. Fast wäre das dann auch passiert. War aber damals schon egal, denn Frankreich und die Niederlande hatten schon vor dem luxemburgischen Ja mit Nein den Vertrag über eine Europäische Verfassung gekippt.
Man hat also nach einer anderen Möglichkeit gesucht, den Vertrag irgendwie über die Bühne zu bringen. Die EU muss schliesslich modernisiert werden. Ich will diesen Fakt auch überhaupt nicht bestreiten, aber wieso muss dazu noch die Politik der EU bis in die Unendlichkeit festgelegt werden? Um die Stimme des dummen Volkes nicht mehr hören zu müssen, machte man sich ein paar schöne Tage in Lissabon und änderte den Namen des ganzen in Vertrag von »Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2008 «. Womit das ganze keine Verfassung mehr hatte. Und damit hat man das Problem, dass in vielen Ländern Verfassungsänderungen vom Volk abgesegnet werden müssen, einfach umgangen.
Leider hat Irland nicht mitgespielt. In Irland müssen auch neue EU-Verträge in einer Volksabstimmung abgesegnet werden. Und die Iren haben Nein gesagt. Und jetzt geht die Welt unter. Bzw. die EU. Oder man wird Irland ganz einfach aus der EU ausschließen. (Frank-Walter Steinmeier hällt »einen vorübergehenden Ausstieg Irlands aus dem europäischen Integrationsprozess für eine mögliche Option. «)
Darf man es merkwürdig finden, dass immer, wenn es nicht so geht, wie die ach-so-großen EU-Politiker es gerne möchten, die Welt gleich untergehen wird?
Was kann man eigentlich an dem Lissabon-Vertrag kritisieren?
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die nicht besonders gelungen sind. So ist der Vertrag selbst z.B. ein Machwerk, das sich ungefähr so anhört:
PRÄAMBEL
1) Die Präambel wird wie folgt geändert:
a) Folgender Wortlaut wird als zweiter Erwägungsgrund eingefügt:
„SCHÖPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem
sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit,
Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben,“.
b) Im siebten Erwägungsgrund, der achter Erwägungsgrund wird, werden die Worte „mit
diesem Vertrag“ durch die Worte „mit diesem Vertrag und dem Vertrag über die
Arbeitsweise der Europäischen Union“ ersetzt.
c) Im elften Erwägungsgrund, der zwölfter Erwägungsgrund wird, werden die Worte „dieses
Vertrags“ durch die Worte „dieses Vertrags und des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union“ ersetzt.
Klingt nicht sehr hübsch. Ist nicht einfach zu lesen. Zum Glück gibt es eine konsolidierte Fassung, die das Lesen ein wenig einfacherer macht. Viel hübsches kann ich darin allerdings nicht entdecken. So ist folgender Abschnitt, den ich schon an der Verfassung kritisiert habe, noch immer zu lesen:
Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (im Folgenden „Europäische Verteidigungsagentur“) ermittelt den operativen Bedarf und fördert Maßnahmen zur Bedarfsdeckung, trägt zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors bei und führt diese Maßnahmen gegebenenfalls durch, beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der
Fähigkeiten und der Rüstung und unterstützt den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten.
Aufrüstung! Genau das was wir brauchen, um uns vor unseren bösen Feinden zu schützen! Nur schade, dass man mit einer Armee weder Terroristen noch Filesharer bekämpfen kann oder darf.
Sogar Angriffskriege darf die EU führen:
Der Rat kann zur Wahrung der Werte der Union und im Dienste ihrer Interessen eine Gruppe von Mitgliedstaaten mit der Durchführung einer Mission im Rahmen der Union beauftragen.
Im Dienster ihrer Interessen kann ausdrücklich Terrorismusbekämpfung in Drittländern sein, aber ich denke mir, dass man diesen Satz sicher noch dehnen könnte und aus der EU eine multinationale Angriffstruppe für Öl- und Gasreserven machen könnte.
Die Sicherstellung eines »freien und unverfälschten Wettbewerbs «, ein vielkritisiertes Ziel der EU-Verfassung, ist nicht mehr drin. Deshalb wird einfach ein Protokoll über die Sicherstellung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs vereinbart, wodurch sich nichts ändert.
Es gibt sicher noch weitere Punkte, aber für mich ist das eigentlich schon genung.
Ich will keine EU, die weiterhin ein reiner Wirtschaftsclub ist, in dem die Lobbyisten auf höchster Ebene Gesetze durchsetzen, gegen die ich mich nicht einmal mehr wehren kann, weil selbst meine Regierung kaum noch eine Chance hat, sich gegen beschlossene EU-Bestimmungen durchzusetzen.
Ich will keine EU des Militärs und des Krieges, das angeblich gegen den Terrorismus und in Wahrheit für Öl kämpft.
Ich will keine EU in der einzelne Völker das Recht auf Demokratie aberkannt bekommen (von wem auch immer!), weil ihre Meinung nicht jedem gefällt.
Ich will eine EU der sozialen Gerechtigkeit, des Pluarlismus, des Friedens, der Ökologie und der gerechten und sinnvollen Entwicklungshilfe!
Dachboden.
Dies ist der 9. Teil einer Geschichte um ein Mädchen mit dem Namen Ina, ihren Exfreund und ihre Freundin.
1. Teil: Hoffnung. 2. Teil: Entmut. 3. Teil: Überwindung. 4. Teil: Türschwelle 5. Teil: Ina. 6. Teil: Vergessen. 7. Teil: Mullbinde. 8. Teil: Entscheidungsfindung
Zoë öffnete die große, mit weißem Lack gestrichene Tür, die zum Dachboden führte. Der gusseisenere Schlüssel – Zoë hatte auf jeden Fall das Wort »gusseisern « im Kopf, als sie ihn berührte, ging nur schwer im Schloss herum. Es krachte laut, als der Mechanismus in Gang gesetzt war und der Riegel sich in die Tür zurückzog. Diese knarrte jedoch, entgegen Zoës Erwartungen, nur wenig. Die staub-trockene Luft des Dachbodens stieg ihr in die Nase. Sie war noch nie auf dem Dachboden gewesen, obwohl sie schon einige Zeit bei Ina verbracht hatte. Aber wie oft bittet man schon seine Freundin, den Dachboden zu erkunden?
Eine schmale Holztreppe, die unter ihren Schritten leicht ächzte, führte gewunden zum Dachboden. Mit jedem Schritt, den sie tat, tauchte sie weiter in die merkwürdige Atmosphäre aus grauem, durch den Schnee gedämpften Licht, verstaubten Spinnweben und mehr oder weniger altem Gerümpel, das Ina hierhin verfrachtet hatte, weil sie es nicht im Blickfeld haben, aber auch nicht wegwerfen wollte. So hatte sie es einmal ausgedrückt, und Zoë war in dem Moment nicht bewusst gewesen, dass es sich dabei nicht nur um alte Schulhefte oder Spielzeuge handelte. Woher hatte sie wissen sollen, dass Ina ihre gesammelten Erinnerungen an ihren Exfreund aufbewahrt hatte?
Sie selbst hob solche dinge immer nur eine Zeit lang auf, und wenn sie nicht besonders wertvoll waren, schmiss sie sie nach ein paar Monaten weg. Das war alleine aus Platzgründen nicht anders möglich – ihre kleine Wohnung hatte weder Dachboden noch Rumpelkammer.
Ihr war mulmig bei dem Gedanken, die Geschichte der Beziehung von den beiden Menschen, die jetzt, das erste Mal seit Monaten alleine in der Küche saßen und wahrscheinlich wieder nicht wussten, was sie einander sagen sollten. Sie hatte Angst, zu entdecken, dass er Ina Dinge geben konnte, die sie niemals tun könnte, abgesehen von gewissen anatomischen Begebenheiten, auf die sie – und ihres Wissens nach auch Ina, jedoch wenig Wert legte.
Sie war sich nicht sicher, ob es gut sei, alles über diesen Sommer von dem sowohl Ina als auch ihr Exfreund so schwärmten, zu wissen. Andererseits würde sie wohl nur Bruchstücke erfahren, Dinge erraten und die Atmosphäre dieses Sommers erahnen können.
Und sie hatte das Gefühl, dass es gut war, was sie tat. Sie tat es nicht nur aus Liebe zu Ina heraus, sondern auch, weil sie bemerkt hatte, dass er diese Verarbeitung brauchte, um seine Rastlosigkeit zu verlieren. Auch, oder vielleicht gerade weil er Inas Ex war, wollte sie ihm helfen. Und sie wusste auch, dass diese Hilfe ihrer eigenen Beziehung zu Ina mehr nützen als schaden würde.
Es war kalt und zugig auf dem Dachboden. Sie war froh, einen dicken Kapuzenpullover und eine Wolldecke mitgebracht zu haben. Mit der einen Hand hielt sie diese fest, mit der anderen tastete sie über den nächsten Balken, an dem sie den Lichtschalter vermutete.
Eine nackte Glühbirne baumelte über einem alten Sofa und erleuchtete den Raum schwach.
Sofort erblickte sie das grüne Regal. Es sah alt und wacklig aus, so als habe es seinen Dienst schon zu lange verrichtet. Allerdings war es voll mit alten Fotoalben mit Ledereinbänden, grauweißen Ordnern, auf denen Jahreszahlen aus dem vorigen Jahrhundert und Wörter wie »Rechnungen « oder »Steuer « standen. Und ein tiefschwarzer Ordner, auf dem in weißer Schrift mit großen, runden Buchstaben »SOMMER « stand. Er schien nicht genauso dick zu sein wie die Steuer-Ordner, die wohl kaum von Ina stammten.
Sie hatte Gänsehaut auf ihren Beinen, als sie kalte Zugluft spürte, die von irgendeiner Ritze zu ihr geweht war. Sie drückte die Decke zwischen ihre Schenkel und schlüpfte in den warmen, gemütlichen Kapuzenpulli. Dann wickelte sie die Decke um ihre Taille, so dass sie wie einen Rock trug.
»Auch eine Form der Ablenkung «, sagte eine scharfe kleine Stimme in ihrem Kopf. Zoë grinste.
Sie schloss die Augen leicht, als sie den Ordner aus dem Regel nahm. Fast wünschte sie, dass es zusammenkrachte und die Beiden durch den Krach nach oben kommen und ihr den Ordner entreißen würden. Sie setzte sich so vorsichtig wie möglich auf das alte, verstaubte Sofa.
Eine hauchdünne Staubschicht lag bereits auf dem Ordner. Mit einem Zipfel ihrer Decke wischte sie ihn behutsam weg. Sie betrachtete das Foto auf dem Deckel. Ein oranger Fleck, das Aufglimmen einer Zigarette in der Nacht und sehr wage die Konturen eines Autos. Eigentlich ein banales Bild, ein Schnappschuss, wie er im Zeitalter der digitalen Fotographie tausend- oder gar millionenfach vorkam. Aber sie wusste, dass Ina dieses Foto wohl kaum ohne Grund als »Titelbild « ihrer Sommererinnerungen gewählte hatte. Es versinnbildlichte eine Stimmung, die sie als Außenstehende wohl nur erahnen konnte.
Zoë kam es so vor, als hätte sie mir dem Staubwegwischen das unsichtbare Siegel des Ordners gebrochen. Es kribbelte sanft in ihrem Bauch. Eine merkwürdige Mischung aus Aufregung und einem anderem Gefühl, das sie nicht genau benennen konnte. Sie atmete tief ein und öffnete ganz langsam den Deckel. Und sah den Stapel von grauem Papier, das fremde Erinnerungen festhielt.
Graues Recylingpapier als Medium für Andenken an eine wichtige und intensive Zeit. Zoë fragte sich, ob Ina das bewusst so gewählt hatte, oder ob sich dieser doch sehr triste Träger aus einem Zufall heraus im Ordner befand.
Auf der ersten Seite befanden sich einige Fotos, vor allem von Ina. Ina, wie sie Bass spielt, Ina, wie sie auf einer grünen Parkbank ihre Schuhe bindet, Inas nackter Rücken in ihrem Bett.
Es war beileibe nicht das erste Mal, dass sie Ina nackt sah, aber auf diesem Foto war sie nackter als je zuvor. Ihre Haltung, das Licht, das alles lies sie sehr offen und freizügig wirken, obwohl man eigentlich nur einen nackten Rücken sah. Seltsam, was für eine Schönheit in so einfachen Bildern lag und wie viel sie enthalten konnten. Oder, wie viel man hineininterpretieren konnte.
Das wollte Zoë eigentlich nicht. Es war ihre Absicht gewesen, den Beiden unten zu helfen, damit sie abschließen, weitermachen konnten. Nicht ihre eigene Neugier zu befriedigen und sich Geschichten über das, was sie sah, auszudenken.
Es waren auch einige Fotos von ihm auf der ersten Seite, aber er war Ina zahlenmäßig unterlegen. Auf einem Foto, ungefähr in der Mitte des Blattes, waren beide zu sehen. Sie saßen auf einer Parkbank, irgendwo in einem Wald. Es muss ein warmer Tag gewesen sein, denn beide hatten nur wenig und sommerliche Kleidung an, seine Stirn wirkte etwas rötlich, wie verbrannt.
Zoë blätterte weiter. Auf den nächsten Seiten waren weiter Fotos zu sehen, immer nach dem gleichen Schema, wobei jetzt auch Fotos von Landschaften oder Dingen auftauchten, und immer mal wieder das Innere eines Autos, seines Autos. Man konnte die weiten Landschaften der Gegend, in der Ina wohnte, im Hintergrund erahnen. Unter eines dieser Fotos hatte Ina in sorgfältiger Schrift geschrieben:
»Wir kehrten nicht nur aus einem fremden Land zurück, wir kehrten auch in ein fremdes Land zurück, als fremde Menschen in ein fremdes Leben … «
Die Fotos schienen nicht in einer besonderen Ordnung zu kommen. Sie wirkten mehr wie ein Vorwort als wirklich schon wie das richtige »Erinnerungsalbum «. Aber sie wusste ja auch nicht, wie Ina das ganze angelegt hatte und konnte vielleicht zusammenhängende Strukturen überhaupt nicht erkennen.
Auf den nächsten Seiten waren Fotos einer Reise, wahrscheinlich irgendwo in Skandinavien oder Norddeutschland, daneben ein Ticket einer Fähre, ein Bonbonpapier, eine Metrofahrkarte und ein Ausschnitt eines Stadtplanes, auf dem ein Ort mit einem Kreuz markiert war. Wieder Fotos von weiten und offenen Landschaften, einmal sogar vom Meer.
Zoë verweilte nicht zu lange auf den einzelnen Seiten, und dennoch spürte sie bereits eine ungewöhnliche Art von Melancholie, das unbestimmte Gefühl, etwas verpasst zu haben, an dem sie nie hätte teilnehmen können.
Und dann kam es. Ein anderes Papier, säuberlich aus irgendeinem Notizheft gerissen. Mit zwei verschiedenen Schriften, der bekannten, rundlichen Handschrift von Ina und einer unbekannten.
Die dicken Balken auf dem Dachboden knackten leise.
Podcast: Angst und Schrecken in Tübingen
(Ja, diese Woche war mau. Ich versuche die Situation zu verbessern, aber es ist der Situation nicht gerade zuträglich, wenn man ewig in der Weltgeschichte herumgondelt.)
Es gibt Missionen, die sind wichtig für Gonzojournalisten. Und es gibt Missionen, die sind für Gonzojournalisten unerlässlich und müssen unbedingt angetreten werden. Eine solche unerlässliche Mission war mit einer Reise nach Tübingen verbunden…
[audio:http://media.switchpod.com//users/angschtaschrecken2008/angschtaschrecken69.mp3]
MP3-Download Podcast: Angst und Schrecken in Tübingen
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