Katzengras

„Gras? Was für Gras meinst du, verdammt? Ich weiß bei dir wirklich nie, ob du Wiesengras oder die Droge meinst!“, schrie er in die Freisprechanlage.
„Wenn ich Gras sage, meine ich Gras! Glaubst du etwa wirklich, ich füttere meine Katze mit Cannabis?“, plärrte der Angesprochene ziemlich unverständlich aus den Lautsprechern zurück.
Es stürmte und neben dem heftigen Windgeräusch, ein bedrohliches Rauschen, das beständig zu hören war, kam auch noch hinzu, dass diese verlassene Straße geradewegs in ein Funkloch führte.

Das alles vereinfachte die Kommunikation nicht gerade. Manfred Rosenfeld verstand nur die Hälfte von dem, was sein Gesprächs- und Geschäftspartner Stéphane Berri ihm mitzuteilen versuchte. Mal ganz abgesehen davon, dass er sowieso nur die Hälfte der Zeit den Sinn und Zweck dieser telefonischen Mitteilungen, die ihn in letzter Zeit immer öfter erreichten, wirklich kapierte.

„Berri, wieso erzählst du mir, dass du deine Katze mit Gras fütterst? Und vor allem: Gibt es nicht sogar spezielles Katzengras?“
Wieder knackte und rauschte die Leitung, während Berri redete:
„Du hattest doch auch mal eine Katze, oder? Vielleicht weißt du ja, wie viel Gras so ein Tier braucht, am Tag oder so …?“
Rosenfeld seufzte. Als habe er nicht genug damit zu tun, den Wagen auf dieser holperigen, windigen Straße zu halten!
„Ich habe meiner Katze noch nie Gras gegeben, weder Katzengras noch Cannabis oder Fußballrasen! Vielleicht hat sie ja mal passiv einen Joint mitgeraucht, aber das wolltest du doch bestimmt nicht wissen, oder?“

cure grass addiction cc by mikelens

Erneut musste er einer Windböe entgegen steuern, als Berri ihm antwortete:
„Ja! Mach dich ruhig lustig über mich! Nachher stirbt das Tier noch an einer Überdosis Chlorophyll! Ich …“
Rosenfeld hörte, dass Berri noch irgendetwas sagte, aber er konnte außer einzeln Wortfetzen nichts mehr verstehen.
Er schrie, als müsse er gegen den Geräuschsturm aus Wind und Übertragungstörungen ankämpfen:
„Berri! Ich versteh dich nicht! Ich bin in einem Funkloch!“

Dramatisch klang das. Wie ein letztes SOS vor dem Untergehen. Dann das Besetztzeichen, 440 Hertz, wohlbekannt und mit leicht unangenehmen Erinnerungen verbunden.

Das Windgeräusch wirkte plötzlich angenehm leise. Die Straße wurde wieder besser. Jetzt eine Tüte Gras, und die Welt wäre wieder in Ordnung!
Das wäre ja alles kein Problem gewesen, wäre das nicht genau die Art zu denken gewesen, die Berri zu dem gemacht hatten, was er heute war: ein brillianter Programmierer zwar, aber sozial völlig inkompetent. Berri war Rosenfelds Meinung nach überhaupt nicht in der Lage, die Wichtigkeit von seinen persönlichen Problemchen abzuschätzen. Wahrscheinlich war er jetzt gerade dabei, irgendjemanden anderen mit seinem Katzengrasproblem vollzulabern und dabei Wörter wie „Cholorphyllvergiftung“ zu gebrauchen als sei das das Normalste der Welt. Und er glaubte halt auch, dass Gras alle Probleme aus der Welt schaffen könnte.
Mittlerweile hatte der Wind ganz nachgelassen, er war auf jeden Fall nicht mehr zu hören. Einzig das gleichmäßige Brummen des Motors unterbrach die Stille.
Dieses Auto hatte natürlich auch kein Radio.

Wieso schaffte er es eigentlich nie, Berri verständlich zu machen, dass er ihm mit seinen „wichtigen Fragen“ furchtbar auf die Nerven ging? Normalerweise konnte er sich doch gut durchsetzen, aber Berris Gedanken sprangen in einem Gespräch so schnell hin und her, dass es quasi unmöglich war, ihn zu fassen und auf etwas fest zu nageln.

Unwillkürlich gab Rosenfeld mehr Gas, als konnte er seine Unzufriedenheit so loswerden, sie mit dem Kraftstoffluftgemisch in das ewige Auf-und-Ab der Kolben schicken, wo sie angesaut, verdichtet, gezündet und abgesaut würden. Wenigstens wusste er noch, wie ein Motor funktionierte, auch wenn er bei einer Panne kaum in der Lage gewesen wäre, einen zu reparieren, das Wissen um die vier Takte hatte er noch. Die Art von Wissen, die man nur in Quizshows und auf langweiligen Parties benutzen konnte.

Er störte ihn, dass ihn so ein dummer Anruff so lange beschäftigte. Oder war es mehr, dass es im Moment für ihn einfach nichts gab, woran er anderes denken konnte, von einem gewissen Mädchen, an das er nicht denken wollte, mal abgesehen?

Dieser Text entstand im Rahmen der „Sommerschule Kreatives Schreiben“ in Köln. Aufgabe war es, einen Text mit den Wörtern „Gras“, „Wind“ und „Straße“ zu schreiben.
Ich plane, die Hauptfigur einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen und den Teil in den Ina-Epos einzubauen.
Photo cc by mikelens

5 Kommentare “Katzengras

  1. Echt, das wird Teil der Ina-Saga? Peppige Katzengras-Dialoge und ernstgemeinte, tiefempfundeneBeziehungskisten?

    Das gefühlte Genre war eher ein deutscher Fernseh-Krimi, wo der sarkastische Ermittler immer wieder durch die Anrufe der lustig-nervigen Nebenperson aus den Ermittlungen gerissen wird, bis er dann die Lösung des Falles irgendwie dem Katzengras verdankt…

  2. Ech wëll net zevill Wierder verléieren obwuel ech main Post vun virdrun deelwéis héi nees widderhuelen kéint. Bon, soen mer einfach, dass daat héi liicht (awer och just liicht) méi Sënn ergëtt wéi déng “Rote Zeichen”. Wou mer grad beim Katengras sin, Joël, wéi ass et mam “Schwanzwedler – Hundebier”??? Drun interesséiert? Héi den Link (http://www.hunde-bar.de/272/schwanzwedler-hunde-bier) – Ech waarden opp dain héchst kreativen Bäitrag!

  3. P.S: Den zweetleschten Absatz ähnelt dach séier dem “motoreschen” Ufank vum Robert M. Pirsig ségem “Zen und die Kunst ein Motorrad zu Warten”. Haerzlechen Glëckwonsch dofir!

  4. P.S.2 an domat genuch fir haut: Et wor den drëtt-leschten Absatz….d’an a -absaugen

  5. Konnt ech dain Beitrag zu “Rote Zeichen” nach hallewegs novollzéien (Stream of consciousness /Gedankenstrom, Beat Generation, an Asoziationsketten sinn eben nët fir jiddereen een Begreff bzw. ze verstoen) sou froen ech mech dann héi och, waat dech lo un dem harmlosen Steck héi esou stéiert, wou et d’Figuren dach awer relativ einfach gezeechent sinn (durchaus gewollt) an d’Handlung lo och net fuerchtbar komplizéiert dirft sinn. Ech fannen, ze wessen wéi en Véiertaktmotor funktionéiert gehéiert durchaus zur Allgemengbildun, D’Wessen em d’Existenz vun Katzengraas géif ech net esou anschätzen, mee ech haat, ouni vill mat Kaatzen ze dinn ze hunn, ob manst schon dovunner héiren.

    Ech gratuléiren dir zu denger Langweil, du wees offensichtlech genee waats domadder ufänken!

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