Ich stehe am Gürtel, vor der U-Bahnstation und warte. Warten ist etwas, was ich nicht mehr gewohnt bin, seit ich in einer Großstadt lebe. Ich versuche, meine Hände nicht in meinen Taschen verschwinden zu lassen. Stattdessen spielen meine Finger irritiert an meiner Hose. Ich überlege kurz, ob ich nicht eine Packung Zigaretten am Automaten ziehen soll. Ich habe kein Feuer dabei. Und eigentlich rauche ich ja auch nicht.
photo cc by Denis Todorut
Es sind viele Menschen unterwegs. Ist ja auch Samstag Abend. Ich lerne seit Tagen nur noch und habe jedes Zeitgefühl verloren. Ich messe Zeit in „vor der Prüfung“ und „nach der Prüfung“. Wobei „Nach der Prüfung ist vor der Prüfung“. Alte Sportlerweisheit. Ich kenne niemanden, der so etwas sagen würde, aber es gibt sicher Menschen, die solche Sprüche klopfen.
„Vier gewinnt. Alte Studierendenweisheit.“ Auch so ein Spruch.
Wahrscheinlich gibt es Menschen, die solche Dinge sagen, nur in Kurzgeschichten auf Blogs.
Merkwürdige Stimmung. Die U-Bahn spült alle möglichen Menschen an. Vor allem aber angetrunkene Teenager, die wahrscheinlich in wenigen Stunden zu Hause sein müssen und deshalb den Höhepunkt ihres Rauschs schon jetzt erleben. Wobei ich mich da auch täuschen kann. Vielleicht haben Teenager in Großstädten ganz einfach keine Sperrstunden. Das würde die Beobachteten zu Opfer einer Gesellschaft machen, die die Latte für Alkoholkonsum immer höher schraubt. Binge-Drinking als Kulturtechnik.
Mir macht das Angst. Also nicht nur die Verwahrlosung der „Jugend“ und die zunehmende Anzahl von Alkoholkranken sondern auch, alleine warten zu müssen und jeden Moment von einem Irren angesprochen zu werden, dem mein Gesicht nicht gefällt. Und dann muss ich dem erklären, dass ich hier nur warte und ihm mein Gesicht eigentlich gar nicht zeigen wollte. Vielleicht schlägt er mich dann halbtot und ich muss blutend mit der U-Bahn ins Krankenhaus fahren. Sind auch nur zwei Stationen.
Wobei ich zugeben muss, dass die Angst doch sehr klein ist. Eigentlich kaum existent. Aber so ein klein wenig ein mulmiges Gefühl habe ich doch, wenn ich mir vorstelle, blutüberströmt in der U-Bahn zu sitzen. Und alle Leute starren einen an und denken, ich hätte mich mit der Polizei geprügelt oder jemanden umgebracht und mich dann mit der Polizei geprügelt. Und wenn ich dann aus der U-Bahn steigen will, steht da schon die Polizei und knüppelt mich nieder. Vielleicht hätte ich mich doch rasieren sollen.
Ob ich jemanden um eine Zigarette anhauen sollte? Aber eigentlich rauche ich ja nicht. Und wenn dem (oder der!) mein Gesicht nicht gefällt, laufe ich Gefahr, Blut aus der Halsschlagader spritzend in der U-Bahn zu sitzen.
Jemand ruft meinen Namen. Hinter einem Blumenkübel tauchen Dr. Kroko und Mau auf. Die Beiden heißen natürlich nicht wirklich so. Höchstens auf Facebook.
„Scheiß auf die Prüfung!“, denke ich.
und wieder wünsch ich mir einen -I’ve read-button-. Hat mich gefreut.
In love mit diesem Text. Krokokorikokroko
Immer wieder freue ich mich auf Einträge in der “literarischen Spielwiese”!
Mit recht, wie hier wieder.
Pingback: Zehn Jahre Schreiben | enjoying the postapocalypse