dem Morgenlicht entgegen.

Ich dusche dem Morgenlicht entgegen. Das Fenster ist halboffen, das Bäumchen davor verhindert, dass jemand mich sieht. Nackt, wie ich es halt nun einmal bin, wenn ich dusche. Ich taste mich halb blind, obwohl mit Brille, durch die vielen Flacons, bis ich ein Shampoo und Duschgel gefunden habe, das ich für geeignet halte. Nachher werde ich riechen wie sie. Sie, deren Namen ich noch vor einem Tag nicht zu ihrem Gesicht zuordnen hätte können, die nun nur wenige Meter entfernt ist. Ich versuche, nicht zu viel an sie zu denken, an die Nacht, die hinter uns liegt, um diese Duschsituation nicht merkwürdiger zu machen, als sie es jetzt schon ist.

Als ich in dem leeren Bett lag, ihrem Bett, habe ich mich nach links gedreht, um das Bücherregal ansehen zu können. Bei jedem Buchrücken, den ich las, wurde mein Grinsen breiter. In mir machte irgendwer Luftsprünge. Dann lachte ich mich selbst für die Idee aus. Ein kurzes, hämisches Lachen, wie ich es selbst kaum von mir kenne. Im Hintergrund das Plätschern der Dusche. Zum Glück wird sie mein Lachen wohl nicht gehört haben. Was sie sonst wohl denken würde? Immerhin gibt es gerade keinen Grund zu Lachen. Zumindest nicht laut. Ein wenig Schmunzeln und glücklich aussehen, das wäre der Situation angemessen. Ich kann nicht anders. Ich drehe mich wieder auf den Rücken, grinse glückselig und starre an die fremde Zimmerdecke.

Die folgende Woche ist regnerisch. Wie langen dünne Fäden steht der Regen im Innenhof. Manchmal, in den kurzen Sonnenperioden, wundere ich mich, dass er noch nicht voll gelaufen ist. Meine Gedanken sind überall, aber nie bei den Dingen, die ich tue. Während der Prüfung denke ich statt an Staudämme, Schlauchwehre und Fischaufstiegshilfen nur an Sex. Ich werde trotzdem eine 3 schreiben. Oder ankreuzen. „Ich habe eine Drei angekreuzt“ klingt seltsam, beschreibt aber besser, was wirklich passiert ist. Während ich über Optimierungsverfahren lese, die auf den Bewegungen von Ameisen basieren, krabbeln die Insekten über meinem Kopf, bauen Nester, züchten Pilze und melken Blattläuse. Und wenn es nicht die Ameisen sind, dann weitaus ablenkendere Gedanken.

Ich spiele das gute alte „Was wäre wenn …“-Spiel. Dreimal ende ich in einem Haus mit Bäumchen davor in der Bodenseeregion. Einmal davon baue ich eigene, legal gewordene Drogen an. Ein anderes Mal werde durch Lesungen berühmt, bei der meine Lebenspartnerin im Hintergrund Musik auflegt. Wir geben einem Hochglanzmagazin gemeinsam ein Interview und machen uns einen Spaß daraus, zweideutige Aussagen über unser gemeinsames Sexualleben zu machen und lassen Vieles absichtlich im Unklaren. Sowas passiert mir ständig. Meine Gedanken sind nicht mehr greifbar, ich kann sie kaum in Zaum halten und auf die 180 Seiten richten, die ich aufzunehmen versuche.

Wir sitzen im Park, essen Eis und reden. Die Sonne scheint, im Hintergrund spielen Kinder, Hunde bellen. Es ist einer der Momente, die ich einfrieren möchte. Oder besser, sie in Endlosschleife erleben möchte, unendlich, im schönsten Sinne des Wortes. So wie das unendliche Gespräch über Sex, während Sigur Rós im Hintergrund läuft. Ich will einfach, dass dieser Moment nie aufhört und wir einfach immer weiter reden und reden. Mir wird das erst später bewusst, als ich meine Rollos runter lasse und die Nacht aussperre. Um dann das Licht zu löschen. Dieses Gefühl kommt nicht oft, nur ganz selten. Dieses Gefühl, dass die Welt stehen bleiben könnte, ist ein schwieriger Deckel, es passt nicht auf dunkle Nächte in fremden Betten.

Da ist sie wieder, die Poesie in meinem Leben.


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Eine Antwort zu „dem Morgenlicht entgegen.“

  1. […] im März. Ich wünsche mir mehr verfickte Poesie in meinem Leben und finde sie im April beim Duschen. Noch bevor der Sommer richtig begonnen hat, versuche ich mir vorzustellen, wie ich ihn erinnern […]

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