2010 ärgerte ich mich über meine schlechte Listenführung, 2011 fing ich an, meine Bücher ordentlich aufzuschreiben und bei goodreads einzutragen. Dort gibt es auch jedes Jahr eine reading challenge, ich habe gleich mal großkotzig 40 Bücher eingetragen. Natürlich habe ich keine 40 geschafft, sondern, auf goodreads immerhin 23. Da stehen auch ein paar Mangas und Comics, mit denen ich im September noch hoffte, die Challenge haarscharf gewinnen zu können. Aber: 2010 habe ich knappe 1600 Buchseiten gelesen, 2011 waren es 7080. „Buchseite“ ist nicht der genaueste Maßstab, aber es freut mich, dass dieser Vorsatz, mehr zu lesen, Früchte getragen hat. Ich genieße das wohlige Gefühl, im Bett zu liegen und zu lesen, mich viel ruhiger in eine Geschichte einfinden zu können als z.B. bei einer Fernsehserie. Erstaunlich, dass ich das Gefühl nicht viel mehr vermisst habe!
Es folgt die Besprechung der fünfzehn zu Ende gelesenen Büchern von 2011.
Haruki Murakami – 1Q84
Mein erster Murakami. Ich finde die japanische Kultur der Gegenwart ja hochinteressant. Das ist mir beim Lesen von 1Q84 noch wieder einmal aufgefallen. Ob ich Murakami mag, weiß ich noch nicht. Die zwei-Perspektiven-Idee finde ich ja immer wieder sehr schön, aber wenn dadurch alles zwei- bis dreimal erklärt wird, fühle ich mich doch nicht immer ganz ernst genommen. Ich wusste nicht, dass Murakami dann doch offensichtlich sehr sexfixiert ist. Ich finde das aber nicht unbedingt negativ, wobei dieser schräge Sexismus, der immer wieder durchschimmert, dann doch manchmal etwas zu viel ist.
Der dritte Band ist mittlerweile erschienen, ich habe ihn aber noch nicht gelesen.
Wolfgang Herrndorf – Diesseits des Van-Allen-Gürtels
Wolfgang Herrndorf ist mir zum ersten Mal durch sein Blog aufgefallen, in dem er über sein Leben mit Gehirntumor schreibt. Das hat mich von der Art und Weise, wie er schreibt, unglaublich begeistert (Dass der Autor eine wahrscheinlich tödliche Krankheit hat, begeistert mich nicht so sehr), so dass ich mehr von ihm lesen wollte. Diesseits des Van-Allen Gürtels ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Bis auf eine, die sich um eine Party mit hippen Berliner_innen dreht, haben mich alle so sehr gefesselt, dass ich sie immer in einem Ruck durchlesen musste. Herrndorfs Schreibstil ist bewundernswert, klar auf der einen Seite, knapp, aber nie zu knapp auf der anderen. Alle Enden sind offen. Das ist unbefriedigend. Nicht, weil offene Enden per se schlecht wären, sondern weil man einfach noch viel mehr lesen möchte.
Einen Bonuspunkt gibt es für die Erwähnung des (fiktiven) Sohns des luxemburgischen Finanzministers.
Haruki Murakami – Kafka am Strand
Wow. Der stärkste Fünfzehnjährige der Welt, ein Mann, der mit Katzen reden kann. Katzenmordende und zuhälterische Werbefiguren. Ein Bild, ein Lied, eine Junge, das_der Kafka am Strand heißt. Murakami schafft es, Romane zu schreiben, für die es keine Genrebezeichung gibt. Das literarische Äquivalent zu einem einzigen, langen, surrealen Traum. Clemens meinte, wenn ich das Ende verstehen würde, sollte ich ihm unbedingt Bescheid geben, aber es lässt mich genauso ratlos zurück wie wohl die meisten anderen Menschen auch. Wahrscheinlich würde ein tieferer Einblick in die japanische Mythologie und Kultur helfen, mehr von der Symbolik zu verstehen. Vielleicht aber auch überhaupt nicht. Um noch einen hinkenden Vergleich zu machen: Murakamis Bücher sind wie Einstürzenden Neubauten-Lieder.
Fesselndes Buch.
Marlen Haushofer – Die Wand
Eine Städterin in den österreichischen Bergen, die sich eines Morgens von einer unsichtbaren und undurchdringbaren Wand eingeschlossen findet. Sie versucht mit ihrem wenigen Wissen über das Landleben zu überleben, hütet Kühe und Katzen. Eine sehr düstere und beklemmende Robinsonade, die meine Beklemmung den Bergen gegenüber nicht unbedingt gelindert hat. Kein Wohlfühlbuch, aber gerade deshalb sehr lesenswert.
Peter Schneider – Lenz
Lenz ist ein Kind der 60er und ist enttäuscht von der Revolte, die nie kam. Er geht zwar immer noch zum Marx-Lesekreis der Fabrikarbeitenden, findet darin aber keine Erfüllung. Also fährt er nach Italien, um dort sein Glück zu versuchen. Ein kurzes Buch, das ein offenbar nie enden wollendes Thema der Linken beschreibt: das Scheitern der eigenen Ideen und der Umgang damit.
Matt Ruff – Ich und die anderen.
Andy hat multiple Persönlichkeitsstörung (eigentlich: dissoziative Persönlichkeitsstörung, im Buch wird jedoch bewusst „multiple“ gesagt) und kommt mal mehr, mal weniger gut damit zurecht, dass er sich seinen Körper mit einigen schrulligen Seelen teilen muss, die Zeit beim Duschen und ein eigenes Frühstück wollen. Der Roman fängt in einem lustigen Ton an, wird dann aber immer härter und düsterer. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, auch wenn es stellenweise ob der Thematik sehr schwer fiel. Und ich habe mal davon geträumt, was sehr selten ist. Auch wenn es ein „Jugendbuch“ ist, würde ich es fast uneingeschränkt
weiterempfehlen. Auf Englisch heißt das Buch „Set This House in Order: A Romance of Souls“, was ein bisschen passender ist.
Hugh Laurie – Bockmist
Eine Freundin wollte ihre alten Bücher loswerden, mein Blick auf die Liste blieb bei „Hugh Laurie“ kleben. Der House-Darsteller, Komiker und … offenbar auch Schriftsteller ist mir nicht zuletzt wegen seiner Arztrolle sehr sympathisch ist. Das Buch sollte eigentlich ein Tagebuch werden, das wurde ihm zu langweilig so so erfand er einen „Sicherheitsberater“, der durch Pech und Zufall in eine internationale Waffenhändler_innenverschwörung rein gerät. Das ganze ist dann ein James Bond auf lustig. Wobei der „James Bond“ durchaus einen kauzigen House-Humor hat. Wobei es auch gut sein kann, dass ich den eben durch Laurie da rein projiziert habe. Das Buch hat mich vor allem auf meiner Reise zum und über den Bodensee Anfang Juni begleitet. Als Reiselektüre ist das Buch ideal: witzig und leichte Kost. Warum der Titel von „Der Waffenhändler“ (englischer Originaltitel ist „The Gun Seller“) auf „Bockmist“ geändert wurde, nachdem Laurie als House bekannt wurde und warum er als House (mit Gehstock) abgebildet ist, weiß allein der Verlag …
Franz Sutter (Hrsg.) – No Future?: Denkanstöße von Camus, Dürrenmatt, Einstein, Faulkner, Fellini, C.G. Jung, Loetscher, Orwell, Popper, Simenon, Tolstoi, H.G. Wells, Widmer und anderen
Eine ideale Klolektüre, meinte der Studienkollege, als er mir das Buch in die Hand drückte. Das stimmt. Die kleinen Auszüge aus den Schriften großer Geister lesen sich auf dem Klo sicherlich perfekt, weil nach den paar Seiten, die für jeden Autor (Frauen kommen leider überhaupt nicht zu Wort) noch ein bisschen Zeit zum Nachdenken bleibt. Sofern es sich überhaupt anbietet, während dem Stuhlgang über Krieg, Zerstörung und die Atombombe nachzudenken. Die meisten Beiträge in dem Buch behandeln das Thema der menschlichen Zukunft, oft unter dem Damoklesschwert der Atombombe. Das Buch ist 1997 erschienen und hat wahrscheinlich damals schon zumindest in Teilen anarchronistisch gewirkt. Leider muss das Erscheinungsdatum im Quellenverzeichnis nachgeschaut werden, was den Lesefluß etwas hemmt und es schwieriger macht, den historischen Kontext eines Textes einzuordnen. Überhaupt ist das schwierig: Einige Beiträge haben nichts mit der Atombombe zu tun und ihre „Prophezeiungen“ sind längst eingetroffen.
Bernhard Schlink – Sommerlügen
„Der Vorleser!“, ruft der begeisterte Deutsch-für-Baumschüler-Kurs-Besucher. Die Sommerlügen sind einige Kurzgeschichten, die zwar ähnlich spannende Beziehungskisten wie der Vorleser enthalten, aber keine Nazis. Nach den ersten paar Geschichten dachte ich, für die Sommerferien sei so etwas ja nicht so schlimm, doch die eine oder andere Perle ist dennoch dabei. Kein gutes, aber auch kein schlechtes Buch.
Kerstin Ekman – Der Ruf des Raben
Ein Märchen, oder eine moderne Sage. Ich glaube „Sage“ trifft es eher. Ich habe mir das Buch in der kleinen Minibibliothek meines Geburtsortes ausgeliehen. So nach dem Cover und dem Klappentext. Es passieren sehr viele merkwürdige Dinge, Kinder gehen verloren und andere werden geboren, die sich dann auf die Suche nach dem ersten Kind machen und Abenteuer erleben. Alles in einem sehr träumerischen, nebeligen Sagenstil. Hat seinen Reiz, ist aber auch anstrengend.
Dostojewski – Schuld und Sühne
Ein Klassiker, durch den ich mich durchbeißen musste. Ich habe lange daran gelesen, mit einigen Pausen und Büchern dazwischen. Aber ich habe es geschafft, die Leidensgeschichte von Raskolnikow zu lesen. Große Teile davon habe ich auf der Fahrt nach und in Berlin gelesen, zum Einschlafen im Zwölferzimmer im Hostel, den letzten Teil dann auf der Rückfahrt. Es ist mir nicht leicht gefallen, mich zurecht zu finden in dem alten Russland, mit den vielen unbekannten und verwirrenden Namen und Namenskombinationen. Zum Glück gibt eine Tabelle, in der sämtliche Personen aufgelistet sind. Und es ist sehr belohnend, so ein mächtiges und wohl auch wichtiges Buch zuzuschlagen.
Stanislaw Lem – Solaris
In Berlin-Kreuzberg in einem Antiquariat gekauft, um im Park etwas zu lesen zu haben. Mussten natürlich gleich ein paar Bücher von Lem sein. Und „natürlich“ DDR-Ausgaben. Solaris ist mehrmals verfilmt worden, allerdings habe ich noch keine Version gesehen. Ein Planet, der mit einem lebendigen Ozean bedeckt ist und mittels merkwürdiger telepathischer Abbilder kommuniziert – oder eben gerade nicht kommuniziert – das ist sehr reizvolle Sci-Fi, die nicht alt wird. Natürlich wirkt es etwas merkwürdig, dass es auf der Station eine Bibliothek mit richtigen Büchern gibt, aber das sollte nicht von der Grundfrage – was maßen wir Menschen uns an, alles zu verstehen? – ablenken sollte. Die behandelt Lem nämlich vorzüglichst.
Joey Goebel – Vincent
Vincent ist ein Wunderkind, ein Künstler, der Songtexte, Fernsehserien und Drehbücher schreibt, die gleichermaßen unterhaltsam wie anspruchsvoll sind. Sein Talent ist angeboren, allerdings ist sein ganzes Leben manipuliert. Ständig passt sein „Agent“ darauf aus, dass es ihm nicht zu gut geht, dass ihm Unglück zustößt, damit er Inspiration zum Schreiben hat. Goebel schildert den Plan eines geläuterten Medienimperalisten à la Murdoch, der den Trash in seinen Medien nicht mehr sehen kann und durch perfide Methoden eine neue Generation Künstler_innen heranzüchten will.
Wenn ich schreibe „lustig bis bitterböse“, klinge ich wahrscheinlich wie ein Modemagazin, das Bücher für den Strandurlaub bespricht, oder?
Stanislaw Lem – Eden
Ein Raumschiff muss auf dem Planeten Eden notlanden. Dort finden die Astronauten (die auch in der DDR-Ausgabe so genannt wurden, hießen die dort nicht Kosmonaut_innen?) eine seltsame Welt vor, in der es Fabriken gibt, die die produzierte Ware sofort wieder einschmelzen und in der seltsame Flugscheiben herumfliegen. Kontakt mit den Bewohner_innen von Eden haben die Menschen erst später. Auch hier steht immer wieder die Frage im Mittelpunkt, ob es als Mensch möglich ist, eine fremdartige außerirdische Zivilisation zu verstehen und nicht misszuinterpretieren.
Nora Wagener – Menschenliebe und Vogel, schrei
Den Debütroman der jungen luxemburgischen Autorin werde ich bald in einem einzelnen Artikel besprechen. Nur so viel: Ich bin ziemlich begeistert.
Angefangen, aber noch nicht beendet:
Alle Wege führen nach Wien. Abenteuer eines Literaturtouristen von Dietmar Grieser
Ausgewählte Werke von Kurt Tucholsky.
photo cc by Gerald Pereira
Du hast zwei meiner absoluten Lieblingsbücher rezensiert und eins kam dabei sehr gut weg und das andere nicht so sehr. Das eine hat das Lob voll verdient und ich bin sehr froh, dass du es mal gelesen hast (ich hab es das allererste Mal vor vielen Jahren am Bodensee gelesen) und das andere hätte besser wegkommen können, wobei es in Wirklichkeit nur zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt, weil der Autor eins der wirklich allerbesten Bücher, die ich je lesen durfte (also wirklich gleich gut wie das erstgenannte) geschrieben hat und ich deswegen alle seine Werke zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zähle. So. Und jetzt darfst du raten, von welchen Büchern ich sprach (wenn du magst).
Und: Frohes neues Jahr, wenn auch verspätet! <(")
Ich wüsste echt gerne, welche du meinst, ich habe aber nicht den geringsten Schimmer einer Ahnung, ich habe doch alle Bücher gelobt?
Haruki Murakami’s ‘Kafka am Strand’. Das gehört zu meinen allerliebsten Lieblingsbüchern überhaupt. Das ist das, das ich auch am Bodensee las und ich finde, dass die allerbeste Stelle die ist, an der die Katze zu sprechen beginnt. Da krieg ich nach fünf mal lesen noch Gänsehaut.
Und das andere war ‘Vincent’ von Joey Goebel. Eigentlich ist ‘Freaks’ mein Lieblingsbuch von ihm, aber weil ich ‘Freaks’ so übermäßig grandios finde, zähle ich auch seine anderen Werke einfach mal zu meinen allerliebsten Lieblingsbüchern. Übrigens hab ich heute (inspiriert von diesem Blogeintrag) ‘Freaks’ noch mal durchgelesen. Das kann ich dir nur empfehlen (wobei, als ich es ein bisschen mit deinen Augen las, machte ich mir Sorgen, du würdest es womöglich sexistisch finden, da einige Figuren komische Schwulenwitze reissen und das eigentlich von niemandem so richtig revidiert wird. Aber ich glaube, dass das einfach den Charakteren entspricht und nichts mit der Meinung von Joey Goebel zu tun hat).
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