In der größten luxemburgische Tageszeitung, dem „Luxemburger Wort“ spricht sich Claude Feyereisen heute gegen das Fahrradleihsystem „vel‘oh“ in Luxemburg-Stadt aus und bezeichnet es als Nischenfüller. Natürlich geht es in Leitartikeln konservativer Zeitungen, die sich mit Projekten der liberal-grün-geführten Stadt beschäftigen nie nur um die Sache selbst, sondern auch um Parteipolitik. Ich bin nicht besonders überzeugt von den luxemburgischen Grünen, noch bin ich ein großer Fan der liberalen DP. Ich versuche in den folgenden Zeilen nur die „Sache an sich“ zu beurteilen und vielleicht ein paar Denkanstöße zur Mobilitätspolitik zu geben.
Leihfahrräder gehören mittlerweile zu den meisten Stadtbildern dazu und sind gerade für Tourist_innen eine gute Möglichkeit, eine Stadt zu erkunden. 2008 gab es weltweit 213 Systeme in 14 Ländern, 2011 waren es schon 375 Systeme in 33 Ländern. Natürlich ist die Topografie von Luxemburg-Stadt nicht unbedingt die fahrradfreundlichste der Welt, aber auch dafür lassen sich sicher Lösungen finden – immerhin lassen sich die Höhenunterschiede in der luxemburgischen Hauptstadt auch mit einem Aufzug überwinden. Interessant finde ich die Bemerkung von Feyereisen, dass Gewerbetreibende, insbesondere „Boutiquen und Gastronomiebetriebe“ ein veringerter MIV schaden würde. Obwohl ich reine Fußgänger_innenzonen eher kritisch sehe, zeigen sie dennoch, dass es durchaus auch Menschen gibt, die eine Stadt ohne Autos schätzen. Sogar zum Einkaufen. Natürlich parkt ein nicht unerheblicher Teil dieser Menschen in den vielen unterirdischen Parkhäusern der Stadt. Das liegt aber nicht zu letzt daran, dass Autofahren in Luxemburg stark gefördert wird und dies auch in Zukunft passieren wird.
Das „Vel‘oh“-Projekt wird letzten Endes wie der Fahrradverkehr insgesamt mit einem Mobilitätskonzept für Luxemburg-Stadt (und wahrscheinlich auch für Luxemburg) leben oder sterben. Dabei darf Mobilität nicht nur als „Besitzen eines Autos“ gesehen werden, im Gegenteil.
Mir scheint eine breite, möglichst viele Faktoren einschließende Definition von Mobilität am sinnvollsten zu sein: selbst ein theoretisches Automobil, das eine unendliche Reichweite hätte, würde ohne geeignete Infrastruktur, also eine Straße, nichts nützen, sondern als „Immobil“ in der Garage stehen. Das Miteinbeziehen von Siedlungsstrukturen, Arbeitszeiten und Kommunikationsnetzen ist ebenso wichtig für eine präzise Betrachtungsweise von Mobilität wie die Wahl des Verkehrsmittels selbst. (Dieser Absatz ist ein Selbstzitat aus meiner Bachelorarbeit. Muss ich das irgendwie kennzeichnen, damit ich mich nicht selbst verklagen muss?)
Die Stadtregierung stößt meistens an den Grenzen ihrer Gemeinde, spätestens aber an den Landesgrenzen des kleinen Großherzogtums auf die Grenzen ihrer Gestaltungsmöglichkeiten. Letztes Jahr hat die luxemburgische Regierung ihr neustes Mobilitätskonzept „MoDu“ („Stratégie globale pour une mobilité durable“, also „Globalstrategie für eine nachhaltige Mobilität“) vorgestellt, die einen Modal Split von 25 Prozent „sanfter Mobilität“ (Gehen und Radfahren), sowie unter dem „motorisierten Transport“ 25 Prozent ÖPNV und 75 Prozent MIV im Jahre 2020 vorsieht. Vergleicht man diese Zahlen mit den Daten anderer Städte, so hatte z.B. Bern schon 2001 nur mehr 25 Prozent MIV. 11 Prozent der Wege in Bern werden mit dem Fahrrad zurückgelegt. Jetzt denken wir noch mal an das Topografieargument zurück und beachten auch, dass Bern sogar eine kleine Drahtseilbahn besitzt. Unter den Top 10 der „cities for the best quality of life“ befindet sie sich ebenfalls. Bern ist sicherlich nicht die einzige Stadt, die ein Beispiel dafür sein könnte, dass sich ein niedriger Anteil an MIV durchaus positiv auf eine Stadt auswirken kann.
Die Ziele von MoDu, besonders bei der Raumplanung, klingen nicht schlecht. Im Bereich des Modal Splits sind sie aber meiner Meinung nach viel zu niedrig gesetzt. Straßenausbau und Autoverkehr sind positiv rückgekoppelt, d.h. neue Straßen werden mehr Verkehr anziehen statt den Verkehr zu entlasten. Warum also eine „nachhaltige“ Mobilitätsstrategie den Ausbau von Autobahnen und „boulevards périphériques“ beinhaltet, entzieht sich völlig meines Verständnisses.
In diesem großen Kontext ist auch vel‘oh zu sehen. Als kleiner Baustein, der ein Schritt in die richtige Richtung darstellt. Damit die Leihfahrräder auch genutzt werden, muss jedoch an den großen Stellschrauben der Mobilität gedreht werden. Ein Anfang wären zum Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen in der Stadt (die helfen übrigens auch gegen Feinstaub) oder Fahrradstraßen, wie sie seit heute auch in Österreich existieren.
Zum Weiterlesen:
Helmut Holzapfel – Urbanismus und Verkehr
copenhagenize.com
Foto: Bike Dock in Copenhagen – Some rights reserved by tomislavmedak
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