Vernissage postmoderne

Es gibt grundlos Sekt und Chips. Ich muss mich auf einer Vernissage befinden! Da hier keine Kunst steht, muss ich das Kunstwerk sein. Wahrscheinlich besteht „das Kunstwerk“ in einer Performance, in der ich verzweifelt nach Kunst und Anspielungen suche. Die Anführungszeichen schweben frei im Raum, aber niemand fragt, wie das möglich ist, es ist schließlich Kunst und nicht der Marktstand eines italienischen Quantenphysikers, dem niemand glauben will.
Wüst beschimpfe ich das Publikum: „Sie sind doch der aus diesem Film da! Was machen sie hier, Sie Meta-Dings? Sie da, sind aus einem Kubrick-Film? IST DAS HIER EIN TROPE?“ In einem kurzen Moment der Stille schnäuzt jemand die Nase, er sieht verdächtig aus wie Sigmund Freud. „Ist das alles eine Anspielung an Neon Genesis Evangelion?“
Bei jedem meiner Sätze flackert über mir in rosa Leuchtschrift das Wort „postmodern!“ auf, damit das auch ja alle verstehen. Niemand versteht meine Fragen, nur manchmal kichert jemand oder ein komplett unironisches Grinsen ist in einem Gesicht zu sehen, das daraufhin errötet und seine Entgleisung sofort korrigiert und wieder ironisch grinst, denn alles ist ironisch, sogar mein Schnurrbart, den ich in meinem Vollbart verstecke.

Museum für moderne kUNST CC BY  Ben Scicluna

Ich trinke den Sekt und esse die Chips. Außer mir traut sich niemand, denn dies ist ja Kunst und deswegen müssen mir alle zusehen, denn würden sie teilnehmen an der Performance wären es nur Menschen in einem weißen Raum, die Sekt trinken und Chips essen. Ich versuche die vierte Wand zu durchbrechen, aber natürlich sind alle gebrieft. Sie dürfen nicht reagieren. Sogar die Person im Pikachukostüm bleibt ruhig, als ich sie an ihren gelben Plüschschultern packe und schüttele.

Verzweifelt versuche ich aufzuwachen, aber das hier ist alles echt. Und das meine ich nicht einmal ironisch.

photo cc-by Ben Scicluna

3 Kommentare “Vernissage postmoderne

  1. Fieser Albtraum. Ein Raum voller Marina Abramovic’es (oder wie man Menschen auch immer pluralisiert – grammatisch, nicht gentechnisch), oder halt ein echt beschissener Tag in der sozialen Sphäre, je nachdem wie man es sieht.

  2. Pingback: Vorgelesen: Vernissage postmoderne | enjoying the postapocalypse

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