Die Piratenpartei tritt zum allerersten Mal zu Wahlen in Luxemburg an und hat, obwohl ihr immer vorgeworfen wurde, sie habe kein Programm, fast 170 Seiten Wahlprogramm geschrieben.
Es finden sich darin etwas weniger umweltrelevante Passagen als vielleicht bei anderen Parteien, aber dennoch einige interessante Aspekte, die ich in den folgenden Zeilen untersuchen will.
(Acht Teasertexte für mehr oder weniger das gleiche zu schreiben laugt irgendwie aus.)
Mobilität
Die Piratenpartei nennt ihr Kapitel, in dem es um Mobilität geht, „Transport“ – Güter- und Rohrverkehr wird jedoch nicht erwähnt.
Die Piratenpartei will einen ticketlosen ÖPNV einführen. Andere Parteien sagen dazu „kostenlos“, aber die Piratenpartei hat ein eigenes Wort dafür erfunden, weil Personal, Infrastruktur, Energie, Fahrzeuge, usw. ja etwas kosten und wenn der Staat diese Aufgabe übernimmt, ist der ÖPNV ja nicht „kostenlos“, sondern halt nur „ticketlos“. So habe ich es verstanden. Sollte das passieren, will die Piratenpartei die Kilometerpauschale für Berufspendler_innen abschaffen – außer, eins braucht länger als eine Stunde zur Arbeit. (Interessant wäre die Frage, ob das dann auch für Menschen gilt, die in Luxemburg wohnen, aber nicht dort arbeiten – und umgedreht?) Finanziert werden sollen die – laut der Piratenpartei – 5%, die vom ÖPNV momentan durch Ticketverkauf finanziert werden, durch Einnahmen aus Benzin- und Autossteuern. (Warum hier nicht von Mineralöl die Rede ist, also Diesel z.B. außen vor gelassen wird, verstehe ich nicht ganz (Ich vermute, Diesel ist eh auch mitgemeint, so wie [denkt euch hier Argumente aus Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache]). Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit liegt in der Rechenschwäche von Ministern:
Ein weiterer Plus an Einahmen käme aus der Eurovignette für Lastwagen bei der Minister Frieden sich verrechnet hat, und die ab nächstem Jahr auch auf Lastwagen mit einem kleinerem Gesamtgewicht Anwendung findet.
Ob sich durch diesen Rechenfehler auch die von der Piratenpartei vorgeschlagene Anbindung des Flughafen Findel an das Schienennetz finanzieren lässt, verrät sie uns nicht. Allerdings besteht dort ja schon seit einigen Jahren ein Bahnhof (oder der Rohbau dafür), wenn ich mich richtig erinnere.
Rund um Luxemburg-Stadt will die Piratenpartei eine Ringbahn bauen (über die genaue Trasse schweigt sie leider), von deren Bahnhöfen aus Busse ins das Stadtzentrum bzw. in den Rest des Landes fahren. Die Idee klingt spannend, besonders die Ringbahntrasse würde ich gerne sehen. Das klingt auf jeden Fall möglicher als die „umsteigelosen“ Citytunnelprojekte anderer Parteien. Die geplante Tram will die Piratenpartei „kritisch hinterfragen“. Das, weil die Tram die an ein modernes Transportsystem „festgelegten Erwartungen“ nicht erfülle. Im nächsten Abschnitt beklagt die Partei, dass das Projekt Tram sehr intransparent sei – die Bewertung der Erwartungserfüllung nimmt sie trotzdem schon einmal vor. Ich persönlich hätte ja gleich ein größeres Netz mit einer höheren Kapazität geplant, aber die Vorteile von schienenbebundenen Transportsystemen existieren und die „spezifische Verkehrslage“ Luxemburg-Stadts will die Tram ja ändern. Die Topologie halte ich auf der vorgeschlagenen Trasse nicht unbedingt für ein Problem (Ansonsten: seht euch mal die Linie C der U-Bahn von Lyon an. Es gibt viele Möglichkeiten.)
Insgesamt will die Piratenpartei den MIV (eigentlich stimmt das nicht ganz: Die Piratenpartei spricht nur von „Autos“. Ich nehme an, dass Motorräder und andere MIV-Fahrzeuge ebenfalls eh mitgemeint sind.) durch erhöhte Steuern auf Benzin (schon wieder!) oder die Einführung einer Maut, nicht aber durch eine Steuer auf den Besitz von Autos, verringern. Klingt gut. Interessant finde ich, dass die Piratenpartei nicht wirklich einee umwelt- oder klimapolitische Begründung angibt, warum sie das alles tut, sondern nur allgemein meint, dass Luxemburg ein Transportproblem hätte. Der nun ticketlose ÖPNV soll dann liberalisiert werden, so dass dem Staat die Schienen (und Straßen, nehme ich an) gehören und der Rest halt … Firmen übernehmen, die dafür aber nichts verlangen dürfen und offenbar vom Staat subventioniert werden, damit sie ticketlosen ÖPNV anbieten. Oder so halt. Ich finde das ein wenig widersprüchlich bis sehr wirr.
Internet in luxemburgischen Zügen fordert die Piratenpartei ebenfalls, genauso wie den weiteren Ausbau des ÖPNVs. Dazu gehören auch Nachtzüge, was ich sehr begrüße.
Fahrradwege sollen „besser geschützt“ und am Besten räumlich von der Fahrbahn getrennt werden. Mir wäre die Tempolösung ja lieber, aber generell ist der Bau von Fahrradstraßen keine so schlechte Idee. Ich persönlich denke, dass es wichtig ist, von Fall zu Fall zu entscheiden, was wo Sinn ergibt. Auf keinen Fall sollten jedoch Fahrräder auf Fußwege verlagert werden oder diese attraktiver für den Fahrradverkehr sein als die Straße – dann verlieren nämlich Fußgänger_innen, die schwächsten Verkehrsteilnehmer_innen.
Die Piratenpartei will die „rush hour vermeiden“ und für flexible Arbeits- und Schulzeiten oder gar home-office eintreten. Das finde ich sehr schön, weil es meiner breiten Definiton von Mobilität näher kommt. Ob die geforderten Park&Ride-Möglichkeiten an den luxemburgischen Grenzen so eine gute Idee sind, weiß ich nicht. Es ist sicherlich nicht die schlechteste Idee, die Möglichkeit zum Umsteigen anzubieten, aber besser wäre es, wenn das Fahrzeug nicht erst bis zur Grenze genommen wird. Manchmal haben P&R-Plätze auch den ungewollten Effekt, dass Menschen, die sonst zu Fuß zum Bahnhof gegangen wären, nun mit dem Auto dorthin fahren – weil das bequemer ist und eh genug Parkplätze vorhanden sind.
Das Taxiwesen will die Piratenpartei liberalisieren. Ich kann die Effekte davon nicht bewerten, könnte mir aber vorstellen, dass es trotzdem nötig wäre, gewisse Grundregeln für Fahrzeuge, die ein Taxi darstellen können, festzulegen, vor allem was den Verbrauch angeht (Oder einen finanziellen Anreiz für möglichst sparsame/ökologische Taxis zu schaffen).
Aber jetzt kommt es.
Um den Verkehr in der Stadt zu entlasten, muss die West-Umgehung gebaut werden. Auch die Nordstadt brauch direkt zwei Umgehungen um den Verkehr besser in den Griff zu bekommen.
Ich zitiere einfach das, was ich bei der CSV geschrieben hatte: Nein! Wer das Straßennetz ausbaut, schafft mehr Verkehr (Maier, 1989, aber auch am Beispiel Ortsumgehungsstraßen sehr gut zu sehen). Wenn der Ortsverkehr nachlässt, werden Fahrten innerhalb eines Ortes attraktiver und damit öfter getätigt. Mit besseren Straßen steigt die Bereitschaft, längere Strecken auf sich zu nehmen. Umgehungsstraßen bringen nur eins: mehr Verkehr. Im Ort und auf der neuen Straße. (Es sei denn, die Städte werden autofrei. Aber an solche Zustände will in Luxemburg ja niemand denken.)
Energie/Klima
Eine nationale Energiekommission mit
allen betreffenden Akteuren als Mitgliedern (also Industrie, Mittelstand, Gewerbe, Staat,
Gemeinden, Parteien und Bürgerinitiativen)
soll einen 15-Jahres-Plan aufstellen, um bis 2030 die „Importe von nicht-nachhaltigen Energiequellen“ auf 50 Porzent des 2013ers-Verbrauch zu reduzieren. Spannend finde ich, dass hier nur Importe, nicht die (in Luxemburg nicht sehr wichtige) Eigenproduktion erwähnt wird. Der Staat soll „(re-)generative Energien“ bevorzugen, das führt dann laut der Piratenpartei dazu, dass der Preis für die privaten Endverbraucher_innen sinke.
Die Piratenpartei will Luxemburg an „das“ HGÜ-Netz anbinden, ein datensparsames „Smart Grid“ einführen und Autobahnen bauen, die gleichzeitig Solarzellen sind und „Elektrizität für das ganze Land“ produzieren könnten. Klingt alles spannend und ich finde es schön, dass sich die Piratenpartei kreative Lösungsmöglichkeiten einfallen lässt, auch wenn sie „konventionelle“ erneuerbare Energien nicht wirklich erwähnt. (Biomasse und Biofuels fehlen z.B.)
Wohnen
Die Piratenpartei fordert eine „Wohnungs-Tripartite“ aus Besitzer_innen, Immobilienhändler_innen und Mieter_innen, die dann voll gleichberechtigt (oder so) das Wohnproblem in Luxemburg lösen. Außerdem soll es billige Studierendenwohnungen geben. Über energetische Sanierung und eventuelle staatliche Unterstützung liest eins nichts.
Raumplanung
Die Piratenpartei ist für eine Fusion der „Nordstadgemeinden (Ettelbruck, Diekirch, Erpeldange,
Schieren, Bettendorf, Colmer-Berg)“ zu einer einzigen Gemeinde. Mit 23.316 Einwohner_innen (Stand 1. Januar 2013) wäre das die drittgrößte Gemeinde in Luxemburg. Immerhin machen die Pirat_innen klar, was sie mit „Schaffung der Nordstad“ meinen, denn die anderen Parteien, die dies erwähnt haben, haben über die konkrete Ausgestaltung ja eher geschwiegen.
Planungsbüros sollen, so der Plan der Piratenpartei, bei großen Infrastrukturprojekten haftbar sein, wenn ihre Planung nicht aufgeht. Dadurch sollen die Pläne realistischer werden. Bebauungspläne hingegen sollen weniger detailliert werden und nicht etwa die Farben von Dächern oder Gartenpforten bestimmen. Wie sehr der Naturschutz eine blockierende Rolle spielen können soll, verraten die Pirat_innen nicht. Den Bauperimeter will die Piratenpartei ebenfalls erweiterbar machen, auch in Gemeinden, in denen dies bisher nicht der Fall war.
Die Piratenpartei spricht sich für die Schaffung eines „nationalen Umweltplaners“ aus:
Wir fordern die Einrichtung einer nationalen und politisch unabhängigen Planungsinstanz für Umweltfragen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung des Landes
Leider erfahren wir nicht, welche Kompetenzen eine solche Planungsinstanz haben soll, bzw. was genau sie planen soll. Grundsätzlicheres zur Raumplanung in Luxemburg lässt sich im Wahlprogramm der Piratenpartei leider nicht finden – in meinen Augen eine verpasste Chance, denn in diesem Bereich sind die grundlegenden Gestaltungsmöglichkeiten für Umwelt- und Mobilitätspolitik zu finden.
Umweltschutz
Die Piratenpartei fordert einen 25%-Anteil von „nachhaltigen Baumaterialien“, zuerst für öffentliche, dann auch für private Haushalte. Ich finde die Idee nicht blöd, auch wenn ich „nachhaltige Baumaterialien“ als Begriff etwas komisch finde. Allgemein sollte in meinen Augen jedes Gebäude eine Art „Zutatenliste“ erhalten, um den Abriss und die Entsorgung zu erleichtern. An solchen Modellen wird übrigens gearbeitet.
Unternehmen sollen auf Recycling setzen und dafür ein staatliches Siegel erhalten. Das trifft es zwar nicht hundertprozentig, aber ich glaube, die Piratenpartei hat gerade eine Light-Version von EMAS erfunden. Ich beglückwünsche sie dazu und verurteile die ungenaue Wortwahl „auf Recycling setzen“.
„Nachhaltigkeit“ soll ein Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen sein, neben „sozialen Aspekten“. Wie gesagt: Ich bin dafür, dass keine Partei mehr zu Wahlen zugelassen wird, die nicht erklärt, was sie mit „Nachhaltigkeit“ meint. Denn für die Pirat_innen gibt es bei „Nachhaltigkeit“ offenbar keine soziale Säule (sonst müssten die sozialen Aspekte ja nicht nocheinmal gesondert erwähnt werden).
Landwirtschaft/Ernährung
Die Piratenpartei will ein „regionales Siegel“ einführen:
Für die Großregion soll ein eigens geschaffenes regionales Siegel eingeführt werden um Produkte als solche aus der Großregion zu kennzeichnen. Dies soll dem Kunden ermöglichen Produkte zu vermeiden, die um den halben Globus transportiert wurden und somit zu einem großen CO2-Austoß führen.
Bisher steht ja in keinem Supermarkt, dass Produkte um den halben Globus transportiert wurden. Oder etwa dort? Gut, da könnte eins jetzt noch genauer werden, so dass sicher ist, dass die Produkte wirklich aus der Region und nicht etwa aus Südfrankreich kommen, wenn dies drauf steht. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Maßnahmen viele Menschen dazu bewegen würden, andere Produkte zu kaufen und andererseits. Es gibt schon ein relativ großes Bewusstsein für regionale Produkte („vum Séi“ z.B.) und dass Erdbeeren im November ziemlich sicher nicht aus Luxemburg kommen werden, ist wohl auch den meisten Menschen klar. Aber ja, warum nicht. Sonst wünschen sich die Piraten
Eine regional adaptierte und leistungsfähige Landwirtschaft, welche auch kleine Betriebe gleichberechtigt
teilnehmen lässt, und welche unter der Voraussetzung eines nachhaltigem Wirtschaften und ökologischem Bewusstsein der Verbraucher kompetitiv ist
Die Landwirtschaft darf also nicht-kompetitiv sein, wenn die Verbraucher_innen kein ökologisches Bewusstsein haben. Das ist, verglichen mit dem „Wir müssen alle über die Herkunft ihrer Produkte aufklären!“-Auftrag der Siegel-Idee, ein sehr positives Menschenbild. Um so eine Landwirtschaft zu schaffen, sollen sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und das halt entwickeln.
Supermärkte sollen veröffentlichen, wieviele Lebensmittel sie jede Woche wegschmeissen und die Pirat_innen sprechen sich für eine „bessere Kontrolle“ aus. Löbliches Ziel, interessante Idee, von der ich jedoch nicht weiß, was passieren würde. Auf jeden Fall spannend, dass eine sehr wirtschaftsliberale Partei wie die Piratenpartei eine solch starke staatliche Kontrolle vorschlägt.
Die Piratenpartei ist gegen Patente auf Lebenwese und Gene. Die Erklärung, dass dadurch „klimawandelfeste“ Pflanzen gezüchtet werden könnten, finde ich ein klein wenig simpel, aber der Ansatz ist doch sehr löblich!
Fazit: Die Piratenpartei hat einige innovative Ideen und es freut mich, dass es in Luxemburg eine junge Partei gibt, die neue Ideen oder technische Lösungen in die Politik bringt (Auch wenn ich mit vielen von dem, was die Pirat_innen wirtschaftspolitisch vorschlagen, nicht einverstanden bin). Sehr durchdacht scheinen mir die umweltpolitischen Punkte leider nicht zu sein – zu oft wird sich darauf verlassen, dass, wenn sich alle an einen Tisch setzen, schon eine vernünftige Lösung rauskommen wird. Die Mobilitätslösungen der Piratenpartei gefallen mir gar nicht so gut, weil trotz guter Ansätze doch ein sehr großer Akzent auf MIV gelegt wird. Aus meiner Sicht eher ein durchwachsenes umweltpolitisches Programm, aber Umweltpolitik ist auch nicht ihr Kernthema.
Was fehlt: Elektromobilität, energetische Sanierung, Biokraftstoffe, Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen, Wasserqualität, Abfallwirtschaft, Feinstaub, Umweltmanagement (zumindest als solches benanntes), Anbau von GMO-Pflanzen. Eventuell habe ich Dinge übersehen, ich habe mich mit der Gliederung des Wahlprogramms nicht so ganz anfreunden können (Da so gut wie alles, was ich hier behandele, Querschnittsmaterien sind, wundert mich das aber auch nicht).
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