Wir stehen vor dem Aufzug und ich höre die Worte „Ich mag nicht … schlafen.“
Ich weiß weder, ob ich das zweitletzte Wort – oder war es eine Wortgruppe? – richtig verstanden habe, noch, ob der Satz an mich gerichtet war und was er heißen soll. Zum Glück bin ich zu müde und zu benebelt, um die Stille zu hören, die der Satz hinterlässt, nachdem sein Echo an den glatten Wänden abgeprallt ist. Zum Glück kann ich so tun, als murmelte ich etwas in meinen Bart hinein, eine Allerweltsantwort wie „Wer will das schon?“, die bei genauerer Betrachtung auch kein Passe-partout wäre.
Ich lasse mich verschlucken von den Schächten, die zu den U-Bahn-Schächten führen. Rolltreppen, darüber Stahlbeton mit Leuchtstoffröhren, deren Surren und Summen in der watteverpackten Nacht nur zu erahnen ist. Gnädig nimmt mich das Netz der Wiener Linien in sich auf, verschluckt mich, um mich am anderen Ende der Stadt wieder auszuspucken. Dort, auf dem Hügel, muss ich mir keine Gedanken über halb verstandene Sätze mit unbekannten Adressat_innen machen. Ich denke höchstens ein bisschen darüber nach, ob ich mir die ganze Szene nicht eingebildet habe.
Ich weiß nicht mehr, was im Aufzug gesprochen wurde, ob ich möglicherweise einen merkwürdigen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, ob ich leise die Titelmelodie von Neon Genesis Evangelion vor mich hinsummte. Wie soll ich mir so etwas denn merken?
Einige Menschen führen Selbstgespräche, ich lande immer wieder in einem Kreuzverhör der vertanenen Möglichkeiten, der ungesagten Sätze und nicht ergriffenen Gelegenheiten. Und zwischen den scharfen Fragen und knappen Antworten ruft verzweifelt eine weitere Stimme, ich solle mich gefälligst mal entspannen.
Es ist merkwürdig, sich unter Menschen wohl zu fühlen. Sonst war da immer eine gewisse Anspannung. Diesmal fiel sie weg, aus chemischen Gründen vielleicht, aber sicher nicht nur deswegen. Vielmehr war es die große Müdigkeit, die mit dem Nebel und der neuen Regierung das Land befallen hatte. Alle waren müde und ich führte gute Gespräche auf diesem Sofa. Kurzzeitig wähne ich mich in einer Folge The West Wing. Ich wünsche mir, jemand würde tatsächlich eine Serie über uns drehen, dann wären die vielen Mikrokonflikte nicht umsonst, sondern Teil eines Drehbuches, das zumindest für Kurzweil sorgte.
Es könnte auch April sein, es würde nicht einmal auffallen.
Meine Sprachlosigkeit auf eine Aussage, die ich vorgeblich nicht einmal ganz verstanden habe, verblüfft mich noch immer und so tippe ich diese Antwort, die keine sein will, das wichtigste auslässt, weil drei Punkte mehr sagen können als tausend Wörter. Dieser Text kann immer und immer wieder gelesen werden, mit jeweils einer anderen Deutung der Auslassung, die ungehört, von der Müdigkeit und dem Rausch in dem Raum zwischen meinen Ohren und meinem Hirn verschluckt wurde.
An das Unausgesprochene deiner Gesprächspartner_innen wirst du dich nicht erinnern können. Es ist die Natur jeder menschlichen Kommunikation, dass nicht nicht kommuniziert werden kann, aber genauso kann auch nicht alles gesagt werden. Das Wesentliche bleibt für Füchse und junge Adelige unsichtbar, das Herz ist kein Sinnesorgan für den Empfang elektromagnetischer Strahlung.
Ich klopfe auf den Tisch, als wäre der Text fertig und dieses Ereignis ein Grund, auf den Tisch zu klopfen.
Photo cc-by tatejohnson
Ein sehr schöner Text!
Hi Joel und ein Frohes Neues Jahr!
Mal was ganz anderes… http://basicincome2013.eu/
In Luxemburg fehlen bloß noch 4000 Stimmen – und die müssen in den nächsten 10 Tagen reinkommen, so viele Leute erreichst Du doch, oder? :)
… in Österreich fehlen übrigens bloß ca. 8.000… ;)
Ich streng mich grad an, die in D und UK noch fehlenden knapp 100.000 zusammenzubekommen. ;P