Die Geschichte mit der Tracht

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Gestern geisterte auf twitter das Stichwort „Dirndl“ durch die Timeline. Ich habe die Aufregung nicht gleich verstanden, aber soviel ist nachzulesen: die deutsche Verkehrsstaatssekretärin Dorothee Bär (CSU) trug im Parlament ein Dirndl, was grüne Politiker_innen zu Kommentaren zur Tracht verleitete (Nachzulesen hier oder hier). Von Österreich heraus betrachtet ist das eine ziemlich lustige Geschichte, denn hier stört sich keine_r an Trachten im Nationalrat. Es sei denn, sie werden von türkischstämmigen Grünen-Politikerinnen getragen. Ich musste an eine Geschichte denken, die ich damals nicht erzählt habe, obwohl sie mit einigem Leidensdruck verbunden war. Ich habe mich nämlich auch einmal zur Tracht geäußert und gefühlt alle Konservativen meiner Uni verärgert …

Im Januar 2013 war ich noch der Chefredakteur des ÖH_Magazins der österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) der Universität für Bodenkultur (BOKU). Im Jänner war das Magazin traditionell gefüllt mit Artikeln zu dem jährlich stattfindenen BOKUball. Da ich diesen Ball und besonders seine Kleiderordnung (Trachten in jeder Ausführung sind dort angemessene Ballkleidung, weiblich gelesene Personen im Anzug müssen schon mal rumdiskutieren, bevor sie reinkommen) sehr irritierend fand, recherchierte ich zur Geschichte der Tracht und schrieb einen Artikel. Ich gebe den hier mit einigen kleinen Änderungen (_ statt I, kleinere Klarstellungen zu cultural appropriation von Dreadlocks/Rastas) wieder. Ich würde das heute wohl etwas anders schreiben, vor allem ist die beschriebene „Vielfalt“ der BOKU eher eine politische als eine, die eins vielleicht unter „Diversität“ verstehen würde.

Trachten – zurück zum Ursprung?

„Von Rastazopf bis Hornknopf ist auf der BOKU alles vorhanden – manchmal sogar in Kombination!“, erklärte mal ein Bekannter einem BOKU-Fremden die Vielfalt der Studierenden auf der Universität des Lebens. Auf dem BOKUball sind Trachten als Abendgarderobe gestattet und gegenüber gewöhnlichen Anzügen in deutlicher Mehrheit. Aus meinem Briefkasten fische ich immer wieder Werbematerial für billige Trachten aus dem Supermarkt. Die ganzen Trachten wirken auf mich als Nicht-Österreicher fremd, ich fühle mich in einen „Heimatfilm“ aus den 1950ern zurückversetzt, wenn ich sie sehe. Woher kommen Trachten und welche Werte stehen hinter ihnen?

Ursprung. Erste bäuerliche Trachten entstanden im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert. Trachten waren zu dieser Zeit mehr oder weniger Arbeitskleidung verschiedener Stände, eine einheitliche überregionale Tracht gab es nicht. Die Tracht verriet die soziale und wirtschaftliche Stellung des Trägers oder der Trägerin, den Personenstand und oft auch den Gemütszustand (z.B. Trauer). Vor allem bei Frauen wurde durch die Art, wie die Schürze gebunden war, die „Verfügbarkeit“ angezeigt. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden im Zuge der sogenannten „Heimatbewegung“ die Trachten, die wir heute kennen. Grund hierfür war eine Rückbesinnung auf vermeintliche regionale Besonderheiten und ein Wunsch nach ländlicher Romantik, die wohl nie existiert hat. Trachten wie der Steirer- oder Kärntneranzug sind aus Jagd- und Wanderbekleidung entstanden und wurden oftmals von einer Autorität wie der Landesregierung festgelegt.

Tracht und Nation. Die heutigen Trachten sind zur gleichen Zeit wie das Konzept „Nation“ entstanden. Die damalige Nationalromantik suchte nach Besonderheiten in einzelnen Gebieten, um eine Nation konstruieren zu können. Die Vergangenheit wurde verklärt überhöht, Nationalhymen gedichtet und „nationale“ Landschaftsbilder gemalt. Die Kultur und damit auch die Mode wurde als einem „Volk“ inhärent und damit unveränderlich begriffen. Trachten wurden zu nationalen (und regionalen) Symbolen, die sich auf eine Vergangenheit berufen, die es nie wirklich gab und sind somit ein Konstrukt, das vor allem politische Ziele verkörperte.

Die Tracht diente in erster Linie dazu, das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Bundesland (und damit wohl auch zu einer Nation) zu fördern. Kaiser Franz Joseph I. war erst aus politischen Gründen Gegner des Steireranzuges, wenige Jahrzehnte später trug er bei der Jagd selbst einen. Im Ständestaat war die Tracht die Kleidung regimetreuer Bürger_innen, während der NS-Zeit wurde die Trachtenkultur gefördert und weiterentwickelt. Die Innsbruckerin Gertraud Pesendorfer vereinte ihre Ideologie mit ihrer Liebe zur Tracht und entwarf eine „erneuerte Tracht“ für „den Führer und das Reich“. Indem sie die geschlossenen Krägen entfernte und die Arme freilegte ent-katholisierte sie die Tracht und besonders das Dirndl. Die erotisierte Form der Tracht, wie wir sie heute kennen, entstand.

Fragezeichen. „Und sowas ziehen die Leute an?“, frage ich mich selbst. Ich hatte Trachten bisher mit einem diffusen Heimatsverbundenheitsgefühl in Verbindung gebracht, nicht mit dem Nationalsozialismus. Die Modelle aus dem Katalog des Billigladens sehen nicht sehr fromm-katholisch aus, sondern eher sehr offenherzig. Das wiederum passt zu der Objektivierung der Frau, die mit der Symbolik der Trachtenschürze offenbar schon länger vorangetrieben wird. Trachten unterscheiden sich in dem Punkt heutzutage nicht vom Rest der Modewelt: so sehr wir das auch anprangern, es ist traurige Realität.

Popkultur-Autor_innen wie Simon Reynolds, bescheinigen der heutigen Popmusik eine „Retromanie“, eine Rückbesinnung auf die vermeintlich besseren Zeiten – Trachten dürften mit einer ähnlichen Geisteshaltung entstanden sein. Werden sie auch so getragen? Wenn Trachten Tradition verkörpern, welche Traditionen sind dann eigentlich gemeint?

Ich will nicht glauben, dass die Trachtenträger_innen aus dem BOKUball sich alle in eine Zeit zurücksehnen, in der die Jungfräulichkeit einer Frau an ihrer Kleidung ablesbar sein muss – nicht einmal Facebook-Profile bieten so viel Einblick. Anhänger_innen der – in Österreich glücklicherweise abgeschafften – Monarchie dürften unter ihnen wohl auch nur sehr vereinzelt zu finden sein. Ich persönlich finde unter den Werten und Traditionen, die sich mit einer Tracht verbinden lassen, nur Dinge, die mir ultrakonservativ oder (lokal)patriotisch scheinen. Das passt in meinen Augen mit den oben erwähnten Rastazöpfen, die [bei weißen Träger_innen] gemeinhin eher ein Ablehnen von bürgerlichen Werten symbolisieren sollen[!], nicht zusammen. Die Fragezeichen über meinem Kopf werden immer größer.

Tracht ohne Tradion? Die Kufiya, ursprünglich ein traditionelles Kopftuch arabischer Beduinen, wurde durch den Nahostkonflikt in Westeuropa als Palästinensertuch oder Pali bekannt. In den 1960er von gewissen Strömungen des linken oder alternativen Lagers getragen, entwickelte es sich zu einem reinen Modeaccessoir, von dessen Bedeutung die Träger_innen nichts oder kaum mehr etwas wissen. „Irgendwie alternativ“ sieht es aus. Ist es mit Trachten in Österreich ähnlich? Eine Tracht zu tragen vermittelt ein diffuses Gefühl der Traditions- und Heimatverbundenheit, dessen eigentliche Symbolik nicht klar ist. Damit geht auch eine Romantisierung der ländlichen Idylle im Stile der Fantasien, wie sie beispielsweise Heimatfilme zeigen, einher. Bleibt die Frage: Wird Tracht heute von ihren Träger_innen wirklich nur mehr als reine Mode, losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung, verstanden?

Mein persönliches Fazit: Ich würde keine Tracht tragen, da mir die Symbolik zu diffus und zu gefährlich ist. Ein „ironisches“ Tragen ist in meinen Augen nicht möglich. Wer Tracht trägt, sollte sich der damit verbundenen Geschichte bewusst sein.
[Ende des Artikels.]

Der Artikel regte einige Leute auf, besonders Mitglieder der ÖVP-nahe „Aktionsgemeinschaft BOKU“, die mich dann gleich auf Facebook beschimpfte:
ÖH-Magazin: Skandal-Meinung zum Thema Tracht. Wie sicher bereits die meisten von Euch bemerkt haben, outet sich ein Autor im aktuellen ÖH-Magazin als Kritiker der heimischen Trachtenvielfalt und rückt die Trägerinnen und Träger dieser in sehr einseitiges Licht. Die einzelnen gelisteten vermeintlichen "Fakten" spiegeln aus unserer Sicht eine mehr als mäßige Rechercheleistung oder eine bewusst verzerrte Darstellung wieder. Die AG-BOKU möchte hiermit festhalten, dass wir uns von diesem Artikel und der Meinung des Autors klar distanzieren! Denn: Ein Hirsch kann nicht beurteilen, wie die Welt von oben aussieht. Von einem Autor, der weder die Traditionen, noch das Brauchtum der österreichischen Bundesländer kennt und darin involviert ist, verbitten wir uns ein Urteil zur ländlichen Kleiderpracht. "Schuster, bleibe bei deinen Leisten" - Das ist ein Thema, das eindeutig Deine kompetenz überschreitet und die leidenschaftlichen Trachtenträgerinnen und Trachtenträger der BOKU zutiefst beleidigt. Teilt uns Eure Meinungen zu den Themen Tracht, Tradition und Brauchtumspflege mit!
Besonders lustig finde ich ja die Distanzierung von einer Sache, mit der die Aktionsgemeinschaft nichts zu tun hatte. Die Diskussion unter dem Posting wurde relativ heiß geführt, (Screenshot der ganzen Facebook-Diskussion.) Das Posting ist zwar gelöscht worden, eine Entschuldigung für die harten Worte habe ich nie bekommen. Auf der Webseite der „Aktionsgemeinschaft BOKU“ wurde das Statement ebenfalls veröffentlicht, ist dort aber auch verschwunden. Einige „nette“ Emails habe ich auch bekommen, unter anderem mit der Aufforderung, Österreich doch zu verlassen, wenn es mir hier nicht gefallen würde. Spannend fand ich auch, dass mir mangelnde Recherche vorgeworfen worde, ohne jedoch darauf einzugehen, was genau in dem doch recht kurzen Artikel falsch sein sollte. Die Emotionen kochten also hoch und die ÖH BOKU (damals geführt von der „Unabhängigen Fachschaftsliste“)beschloss deswegen, einen Filmabend zu organisieren. Wir zeigten „Stoff der Heimat“ und diskutierten angeregt über das Thema. Nach einer Wortmeldung, ich hätte alle Trachtenträger_innen ins „rechte Eck“ gestellt, gab ich mich zu erkennen und erklärte mich, so gut es ging. Am Ende des Abends hatte ich das Gefühl, dass alle zufrieden nach Hause gingen, die Diskussionen auf Facebook sind danach ebenfalls verstummt.

Kritik an Trachten, ihrer Symbolik und ihren Träger_innen löst in Österreich öfters mal shitstorms aus. Ob es anlässlich der „Wiesn“ im Wiener Prater Diskussionen geben wird?

Edit: Einer der erwähnten shitstorms traf meine Kollegin Olja Alvir, damals auch unter #dirndlgate (unter dem hashtag finden sich heute tweets zu dem oben erwähnten „gate“), worauf mich Anna aufmerksam machte:

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