Gebirge II

gebirge2

Ich tippe mit meinen Fingern auf dem Schreibtisch, gebe einen Takt an. Fast so, als würde ich ein Lied beginnen wollen. Aber ich habe kein Taktgefühl und keine Ahnung, wie Takte angezählt werden. Es erfüllt seinen Zweck. Das Geräusch meiner Nägel, die schneller wachsen, seit ich aus Versehen mit dem Rauchen aufgehört habe, auf dem Holz, das mich länger kennt als beinahe jede_r von euch, macht mich so nervös, dass ich mich aufraffe und das Zelt verlasse. In dem Zelt sah alles aus wie in meinem Jugendzimmer, mit dem einzigen Unterschied, dass die Wände statt aus Holz und Glaswolle aus Zeltstoff sind.

Im Draußen immer noch das Specksteingebirge, grün und geheimnisvoll. Ich habe alle Zeit der Welt prokrastiniert, statt darüber nachzudenken, wie ich die riesigen Stufen erklimmen soll. Es stellt sich heraus, dass jedes Bangen und Grübeln darüber sinnlos war: Ich kann ohne Probleme hochklettern, nur muss ich es auf allen Vieren tun und komme mir dabei leicht lächerlich vor. Aber so ist das nun einmal im Gebirge: der Mensch wird auf das Wesentliche reduziert. Fortbewegung, Multifunktionsjacken, fancy Spezialnahrung, die hundert Millionen Jahre haltbar ist und Spezialklopapier, das sich schon in der Packung zersetzt.

Die Stufen beginnen sich zu bewegen. Zuerst ist es nur ein sehr undeutliches und kaum wahrnehmbares Vibrieren, das ich fünf Minuten oder fünfzehn Stufen lang ignoriere. Dann werden die Abstände zwischen den Stufen plötzlich unregelmäßiger, einmal habe ich sogar das Gefühl, die Stufe, von der ich hochklettere, entzieht sich dem letzten Fuß, den ich auf ihr stehen hatte. Ich notiere „Beunruhigung!“ in mein geistiges Logbuch und unterstreiche das Wort. Zweimal, mit extra viel Druck auf den geistigen Stift.

photo by Blake Richard Verdoorn


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Eine Antwort zu „Gebirge II“

  1. Ich weiss bei diesen Texten ja meistens nicht, was ich kommentieren soll ausser „toll! ich will mehr!“ deshalb sag ich es hier einfach mal für alle Texte bisher.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert