Ich notiere weiter in mein unsichtbares, geistiges Notizbuch: „Das ist mir alles ein Rätsel. Warum stehe ich in einem Gebirge, wo ich Berge doch gar nicht mag und die Berge mich auch nicht?“ Ich habe die Geschichte schon oft erzählt, wie ich einmal den Fuß auf nacktes Gestein setzte und es im nächsten Moment anfing tischtennisballgroße Hagelkörner zu hageln und der schöne Wochenendausflug letzten Endes nur ein lange Autobahnfahrt in einem großen Auto wurde.
Das war nicht immer so.
Es gab eine Zeit, da wünschte ich mir nichts mehr als einen Skiurlaub. Ich weiß nicht genau warum, aber ich wollte das unbedingt tun. Vielleicht auch einen Wanderurlaub. Wahrscheinlich würde ich die Berge heute lieben, wäre ich in einem Land aufgewachsen, in dem es richtig hohe Berge gibt. Aber heute verstehe ich schlecht, wieso Menschen diese Anstrengung des Hoch- und Wiederrunterlaufens auf sich nehmen, wenn es doch auch andere Möglichkeiten gibt, durch die Landschaft zu kommen.
Warum klettere und kraxele ich diese grünen Felsen hoch, die mit jeder Stufe steiler und spitzer und scharfer werden? Es ist immer noch kein Wind zu hören, der blaue Himmel ist einem unheimlichen, dicken Nebel gewichen, der sich an seinen Rändern wie Watte anfühlt. Wenn ich die Hand weiter eintauche, um herauszufinden, ob dieses Wetterphänomen vielleicht wirklich Watte ist, ist da nur mehr Luftfeuchte. Ich taste mich durch den Wattenebel, immer an den scharfen Kanten der Felsen entlang, immer weiter nach oben. Das ist ohnehin die einzige Richtung, die ich noch erkennen kann, ohne den merkwürdigen Kompass, der mir etwas Angst macht und macht, dass die Haare auf meinem Rücken sich aufstellen und für ein paar Sekunden hart wie Draht werden, zu verwenden.
Immerhin bewegen die Stufen sich nicht mehr. Oder ich spüre nicht mehr, dass sie es tun, falls ich mir das nicht nur eingebildet haben sollte. Ich erklettere die letzte Stufe. Das erkenne ich daran, dass in großen Lettern diese Worte eingraviert sind: DIE LETZTE STUFE. Manche Dinge sind dann doch offensichtlich. Der nächste Teil des Weges ist wieder mit kleinen, runden, grünen Kieselsteinen bedeckt, die unvorsichtigen Wanderer_innnen (solchen mit schlechtem Schuhwerk) in die Schuhe springen und den Rest des Weges in die Fußsohle stechen. Ich sehe nicht, was sich am Rand befindet, denn die Watte versperrt mir die Sicht. Soweit ich weiß, könnte es tausend Kilometer senkrecht in die Tiefe gehen.
Ich wage es nicht, einen Kiesel in den Nebel zu werfen, um meine Theorie (oder eher die schlimmste und angsterregendste Theorie, die ich mir ausdenken konnte) zu überprüfen. „Blaues Glas!“, denke ich, inklusive Ausrufezeichen und beschleunige meine Schritte.
photo by Blake Richard Verdoorn