„Ich weiß gar nicht mehr, was mein Stil überhaupt ist!“
„Wusstest du das je?“, fragt sie mich, treffend wie immer. Ich mag ihr keinen Namen mehr geben, denn sobald ich ihr einen Namen gebe, wird ein Mensch mit eben jenem Vornamen in meinem Leben auftauchen und die Leute werden mich fragen, ob ich über sie schreibe und ich müsste dann wie eine Sphinx lächeln, aber stattdessen werden ich rot und sage Dinge wie „Nein, sie ist nur eine Figur, um die Leser_innen zu verwirren, die gar nicht wirklich existiert, aber gewisse Aspekte von gewissen Menschen zu manchen Zeiten repräsentiert, spiegelt oder hologrammiert.“ (Natürlich sage ich nicht „hologrammiert, ein so gutes Verb würde mir beim Sprechen niemals einfallen)
Früher hieß sie Ruth. Es muss auch keine „sie“ sein, das ist im Grunde völlig egal, in welcher Form ich sie imaginiere. Ihre Frage versetzt mir einen kleinen Stich zwischen die zweite und dritte rechte Rippe von unten. Wie mit einer sehr spitzen und sehr dünnen Nadel gesetzt schmerzt mich ihre Aussage kurz und ungeahnt tief.
„Ich beherrsche eine Reihe von verschiedenen Stilen, das steht sogar in meiner offiziellen Biografie!“
„Die du dir von einer Beschreibung, die wer anderes vor acht Jahren über dich geschrieben hat, abgekupfert hast.“
„Sei nicht so gemein.“
„Ich bin nicht gemein, ich bin nur ehrlich“
Ich will einwerfen, dass es gemein ist, dass sie alles über mich weiß und gleichzeitig alles was sie über mich weiß, gegen mich verwendet. Aber ich brauche das gar nicht, denn die Person, die ich hier früher mal Ruth nannte, rechnet schon mit so einem Einwurf. Sie räkelt sich auf einem der roten Plüschsofas, das in einem der beinahe unzähligen Salons im Inneren des großen Seelenzeppelins (it’s bigger on the inside!) steht. Sie greift eine Frucht, die ich nicht benennen kann, aus der Obstschale, die auf einem Beistelltisch steht und beißt genüsslich rein. Ich weiß nicht, was diese Geste bedeuten soll, also rede ich einfach weiter.
„Ich habe mal einen Western geschrieben. Das können nicht alle von sich behaupten!“
„Das war ein Schulaufsatz. Und er war nicht einmal sonderlich gut.“
Ich sage nichts darauf, denn ich erkenne, wie schlecht mein Argument war und konzentriere mich auf das sehr leise Dröhnen der Motoren, von dem ich nie weiß, ob ich mir nur einbilde oder ob es wirklich zu hören ist. Dies ist mein Ort, mein Zeppelin, ich alleine beherrsche seine Innenarchitektur, bestimme den Kurs, lasse Motoren hörbar sein oder Obst in hübschen Schalen auf delikaten kleinen Beistelltischen erscheinen.
„Aber in gewisser Weise beherrscht das Zeppelin doch auch dich.“, antwortet die Person, die ich früher hier mal Ruth nannte auf meine Gedanken. Ich habe sie nicht aussprechen müssen.
„Ja, in gewisser Weise stimmt das. Aber nicht so, wie du denkst.“
Sie sieht mich erschrocken an. Das ist der Moment, in dem sie erkennt, dass sie doch nicht alles über mich weiß. Ich lasse die Obstschale sich selbst auffüllen, mit den Früchten, von denen ich nicht weiß, was sie sind und was sie in diesem Ensemble darstellen.
„Ich weiß nicht, was für Früchte das sind. Und obwohl du nicht alles über mich wissen kannst, wirst du immer der dunkle Schatten sein, der deine Rolle in diesen Texten ist“
„Nicht so laut. Die vierte Wand bekommt schon Risse und niemand mag das, wenn sie das tut.“
„Doch, ich! Ich mag das!“ (Und danke R22 für jede Szene in ihren Filmen, die es tut!)
„Ja, aber du magst auch Zeppeline und Oliven und insgeheim auch kalten Kaffee, zumindest manchmal.“
Was ich sagen wollte: „Du wirst immer Macht über mich haben.“
„Obwohl ich jedes Mal für etwas anderes stehe?“
Darauf habe ich keine Antwort. Ich versuche mich an Ruths letzte Auftritte zu erinnern, an die düsteren Momente, in denen ich schrieb, weil ich das Gefühl hatte, ich würde anders nicht mehr können und dabei ganze Häuserblocks einstürzen und Meere erscheinen ließ.
Der große Seelenzeppelin schwebt lautlos über dem Meer, aus dem dicker Nebel aufsteigt und unter den Sternen, die silbern leuchten, stumme Zeug_innen längst vergangener Kernfusion, urälteste Kräfte des Kosmos. Ich verlasse den Salon, lasse die Person, die ich früher einmal Ruth nannte, mit den Früchten alleine, obwohl sie mich nie wirklich alleine lassen wird, und setze mich an das Steuer, das in Wirlichkeit eine Schreibmaschine mit tausend goldenen Hebeln ist.
Ich bin alleine und realisiere das erst, als mir ob der Einsamkeit eine Träne in das rechte Auge rutscht. „Aber das sind die besten Nächte!“, würde die Person, die ich früher einmal Ruth nannte, jetzt sagen, denke ich mir.
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