Zweitausendfünfzehn

eine Straße, eine Kaffeekanne und ein verschneiter Bahnsteig

Zweitausendfünfzehn, du warst eigentlich ganz okay. Jahre, in denen Dinge fortgeführt werden, wirken im Rückblick nie so spektakulär wie jene, in denen Dinge angefangen oder beendet werden. Ich erinnere mich an den Anfang des Jahres, als das Magazinprojekt aufregende neue Perspektiven bot und wir eine neue Person dafür suchten.

Im Februar besuchte ich Bratislava mit eben jener neuen Person. Tage voller Arbeit. Ich stand als Erster auf, duschte mich und kaufte mir einen Kaffee in einer kleinen Bäckerei ums Eck. So ungefähr stelle ich mir Urlaub als Erwachsener vor, frühes Aufstehen, Duschen und dann den Morgen mit einem einzigen langen Kaffee mit viel schaumiger Milch verbringen. Leider war es kein Urlaub, sondern eine Klausur, also verbrachten wir den Tag in der Küche und tippten Entscheidungen in unsere Computer, bis die Nacht uns überraschte und wir benebelt in der Küche saßen. Am Endes des Monats starb Leonard Nimoy, was mich wirklich traurig machte. Das war – glaube ich – das erste Mal, dass mich der Tod einer berühmten Person ernsthaft traurig und betroffen gemacht hat.

Ich wurde etwas wider Willen zum wort.lu-Blogger und erklärte gleich einmal meine Bauchschmerzen bei dem Projekt. Heute ist mein Blog immer ganz unten in der Liste der deutschsprachigen Blogs, wobei die meisten Blogs in der deutschsprachigen Liste mittlerweile auf Englisch geführt werden. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Liste anfangs rotieren würde, aber vielleicht hat sie das auch nie getan. Der Traffic, der von wort.lu kommt, ist jedenfalls wenig atemberaubend.

Im März kam mein neuer Computer. Der erste, den ich mir komplett selbst gekauft habe und auch der erste seit ungefähr zehn Jahren. Ja, bis etwa einem Jahr habe ich eine Maschine mit einem Pentium 4-Prozessor als meinen Hauptrechner benutzt. Hat funktioniert, wurde aber zusehends nerviger, weil Internetdinge immer anspruchsvoller werden. Da der Transport die Prozessorkühlung irgendwie kaputt gemacht hatte, musste ich ihn zurückschicken, einige Wochen warten und dann kam der neue Computer nochmal. Der WLAN-Stick und der Computer wollten nicht so recht zusammenarbeiten, aber das behob ich dann durch einen neuen Stick. So fing ich nach langer Zeit auch wieder an, zeitgenössische Computerspiele zu spielen und benutze dieses Steam-Dings.

Sonnenuntergang, ein Affe und eine Landschaft

Im April und Mai produzierten wir eine Videoserie zu ziemlich lächerlichen Wahlen. Ich liebe dennoch das, was wir gemacht haben, die wenigen Minuten Material, von diesem catchy Ohrwurm umrahmt, auf die ich einfach unglaublich stolz bin. Alles war sehr anstrengend, als hätten die Dreharbeiten ständig darin bestanden, eine Schubkarre bergauf durch den Türkenschanzpark zu schieben, und dennoch fühlte sich alles so gut an, zumindest im Rückblick.

Es folgten weitere anstrengende Momente, die sich auf diversen Balkonen in Rauch auflösten, weil das manchmal die beste Lösung für all diese Dinge ist. In Luxemburg war Anfang Juni außerdem das Referendum zu drei Fragen in der Verfassung. Ich gab eine Wahlempfehlung ab und ärgerte mich in den Wochen davor und danach mich stundenlang mit Facebookdiskussionen über das Residenzwahlrecht für Nicht-Luxemburger_innen herum. Die Niederlage der progressiven Positionen zum Residenzwahlrecht für Nicht-Luxemburger_innen, Wahlrecht ab 16 Jahren und der Begrenzung der Minister_innenmandate auf zwei Amtsperioden traf mich schon, auch wenn sie nicht unerwartet kamen. Es bleibt auch der bittere Nachgeschmack, dass das alles hätte besser organisiert werden können. Nach dem beinahe gescheiterten Referendum zur „europäischen Verfassung“ 2005 gab es eine Studie der Uni Luxemburg, in der vieles stand, was hätte besser gemacht werden können. Nur scheint es, dass in den zehn Jahren zwischen den Referenden keine Person, die für die Kampagne verantwortlich war, diese Studie auch nur angefasst hätte. Viel erschreckender ist jedoch das Votum, denn es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Luxemburger_innen ihre Rechte gerne für sich hätten und – so wirkt es in manchen Diskussionen – ihre Mehrsprachigkeit gerne gegen ein monolinguales, „luxemburgisches“ Luxemburg austauschen würden (was natürlich eine nationalistische Quatschfantasie ist).

Den Monat, den ich in Sommer in Luxemburg verbrachte, bloggte ich jeden Tag. Ich kam darauf, weil ich im Flugzeug Max Scharniggs „Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau“ las, in dem der Vater dem Sohn ein Tagebuch schenkt und ihn anweist, jeden Tag rein zu schreiben. Ich äußerte die Idee auf Facebook, bekam von einer Person positives Feedback und drückte es durch. Ich freue mich sehr darüber, dass ich das durchgehalten habe, dass ich nicht aufgegeben habe. Selbst, wenn ich an manchen Tagen nur sehr wenig geschrieben habe, habe ich geschrieben. Und mir damit selbst auch gezeigt, dass ich sowas durchziehen kann. Ich mag das Gefühl, alles immer gleich aufzuschreiben. Ich werde mich immer an den Sommer 2015 erinnern können, weil ich jeden Tag etwas dazu aufgeschrieben habe. Das ist ein ziemlich gutes Gefühl und ich würde es gerne ein ganzes Jahr hindurch durchziehen. Am Ende des Sommers schrieb ich ein Hörspiel für einen Wettbewerb, den ich leider nicht gewonnen habe. Dabeisein mag nicht alles sein, aber ich freue mich immer noch über das Ergebnis. In diesem Sinne war Zweitausendfünfzehn auch das Jahr des Schreibens. Der Sommer war außerdem sehr heiß und ich verbrachte viel vergebliche Zeit damit, über Verschwörungstheorien zu diskutieren.

Am Ende wurde es wieder Oktober und ein neues Studienjahr begann. Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wieso wir zwei unterschiedliche Jahre haben. Immerhin ist vom Schul/Studienjahr doch ein Großteil der Bevölkerung betroffen, der ständige unnötige Lebenszeit damit verliert, „also, letztes Studienjahr meinte ich, nicht letztes Jahr“ zu sagen. Wäre es nicht sinnvoller, das eine an das andere anzupassen? Mein zweites Wintersemester im Master fing eher ruhig an, bis auf ein Fach war auch alles zu menschlichen Zeiten. Ich habe beinahe nur Fächer im Bereich Mobilität/Verkehr belegt, die auch beinahe alle schon im Dezember ihr Ende fanden, so dass der Januar eher ereignislos werden wird. Auch okay.

eine Raffinerie, ein Hinterhof und Luxemburg-Stadt

Im Oktober habe ich Geburtstag und seit einigen Jahren habe ich ein eher ambivalentes Verhältnis. Ich mag es, dass alle Menschen einen Tag lang freundlich, nett, liebevoll zu mir sind und mir lustige GIFs auf die Facebookwall posten. Das könnte ich echt jeden Tag vertragen. Aber das mit dem Älterwerden und dem ganzen Rattenschwanz, der daran hängt, behagt mir nicht so. Außerdem habe ich vergessen, eine Party zu organisieren, was mich immer noch ein wenig ärgert. Am Ende des Monats recherchierte ich viel für meinen Artikel zur COP21 in Paris, der Anfang November im Magazin forum erschien. Ich sah Yanis Varoufakis, den ehemaligen griechischen Finanzminister, der an der Wirtschaftsuniversität Wien einen Vortrag hielt. Merkwürdigstes Setting für einen Vortrag eines Marxisten, aber seitdem habe ich noch mehr das Gefühl, dass die Welt an so vielen Stellen sowas von falsch läuft.

Im November war im Radio ein Interview mit mir über meine Jugend zu hören, das ungefähr ein Jahr davor aufgenommen wurde. Ich hatte die fertige Sendung schon länger zugeschickt bekommen, habe mich aber nicht getraut, sie anzuhören. Ich wusste nicht mehr genau, was ich erzählt hatte und wollte nicht in eine komische Stimmung kommen. Unter diesem Link lässt sich das auf Luxemburgisch nachhören, mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden und den düsteren Unterton, den ich vermutet hatte, ist nicht so stark zu hören. Ich fuhr in der Mitte des Monats zu einer Konferenz mit dem Titel „Vergiess d‘Politik“ für zwei Tage nach Luxemburg (zwei Tage Zugfahren, zwei Tage anwesend sein!) und moderierte zum ersten Mal in meinem Leben ein Rundtischgespräch im echten Leben. Das Feedback war erstaunlicherweise sehr positiv und die Runde war eine der angenehmsten Diskussionsrunden, die ich bisher erleben konnte.

Yannis Varoufakis, eine Kaffeetasse auf einem Geländer, eine Uni mit viel Grün und Kaffee und Schreibzeug mit einem Zugfenster im Hintergrund

Im Dezember ärgerte ich mich vor allem über Luxemburg. Zuerst über die Kulturministerin John Olivers Scherz über Luxemburg nicht ganz so lustig fand (ich lache immer noch!) und darüber, dass, als dann sie Regierung verließ, durch den Premierminister und einen jetzt-nicht-mehr-Bürgermeister ersetzt zu werden. Beide haben, so scheint es zumindest, keine weitere Vorstellung von Kulturpolitik, als dass sie dem luxemburgischen Nationbranding dienen sollen (Was es nur in die Printausgabe der NYT geschafft hat). Am Ende des Monats reiste ich nach Luxemburg und verlebte dort einige nette Momente mit Familie und Freund_innen, bis das Jahr zu Ende war. Und ärgerte mich noch ein wenig mehr über Luxemburg, vor allem über zu schmale Radwege.

2015 habe ich das erste Mal ein journalistisches Videoformat erfunden, konzipiert und umgesetzt.
2015 habe ich viele gute Serien gesehen, zum Beispiel Steven Universe, How To Get Away With Murder, Fresh Off the Boat, Orphan Black, Agents of S.H.I.E.L.D. Entäuschend war „Moonbeam City“, das bis auf ein grandioses Intro leider nicht überzeugen konnte.
2015 habe ich auch Bücher gelesen.
2015 habe ich virtuellen Nachwuchs bekommen: Mein horse_ebooks-style, Markov-Ketten-Twitterbot @weglasern.

Weglasern ist ein Bot, aber manchmal wirkt er verdammt menschlich und vor allem die Antworten auf tweets sind oft gespenstisch nahe an dem, was ich twittern würde (wenn er nicht gerade drei Sprachen miteinander vermischt).

Okay, Zweitausendfünfzehn. Das fasst dich ganz gut zusammen. Ganz okay.

2 Kommentare “Zweitausendfünfzehn

  1. ben_: Vor allem Starbound, Cities: Skylines, Darkest Dungeon und Prison Architect. Portal und Shadow Warrior hab ich anfangs auch nachgeholt, aber ich bin bei Shootern eher nicht so talentiert. Noch schlimmer sind Schleich-Spiele, weswegen ich Deus Ex: Human Revolution eher hasse als spiele. Und ich heiße dort “weglasern”, wie der Bot.

    Der Bot! Ich habe das damals nach dieser Anleitung gemacht, die auch in der gecacheten Version behauptet, sie sei nicht mehr aktuell. Es gibt neuere, die ich noch nicht probiert habe, weil der Bot ja läuft. So ein bisschen Sorgen mache ich mir, ob ich es schaffen werde, ihn zu aktualisieren, aber irgendwie lässt sich das sicher schaffen. Ich hab das alles Schritt für Schritt nachgemacht, das einzige was ich anders gemacht habe waren Blogeinträge, die ich als tweets in den Korpus geschmuggelt habe. Außerdem habe ich die englische Liste der Stoppwörter (also dort, wo Satzfragmente getrennt werden, z.B. ein “jedoch” oder ein “oder”) durch eine deutsche Liste ergänzt. Kann sein, dass er dadurch ein wenig “besser” funktioniert als andere, aber das ist schwer zu bewerten. Lustiges Projekt auf jeden Fall.

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