Ein Flugzeug nach dem anderen erhebt sich und steigt mit einer unerträglichen Langsamkeit in den hellblauen Sommerhimmel, dem mit seinen wenigen Wolken der starke Ostwind, der unseren Abflug verzögert, nicht anzusehen ist. So langsam, wie die Flugzeuge abheben, habe ich beinahe Angst, sie könnten ohne Vorwarnung wieder herunterfallen, wie Steine, die plötzlich merken, dass sie keine diplomatische Immunität gegenüber den Gesetzen der Physik haben. Wir werden umsorgt mit Schokolade und Wasser, ich habe außerdem ein kleines Päckchen PEZ (Erdbeer) gefunden, das ich aus Langweile esse. Es ist nicht so schlimm, aber irgendwo in den Sitzreihen hinter mit hört jemand mit schlecht abgeschirmten Kopfhörern elektronische Musik, was mich leicht nervös macht.
Jedes startende Flugzeug dröhnt zuerst, wie Donner, dann drehe ich mich zum Fenster und schaue dem Aufstieg zu, bis sich die Maschine im Blau des Züricher Himmels verliert. Jedes Donnern heißt einen Platz weiter nach vorne in der Warteschlange für uns, jeder erstaunlich langsame Aufstieg bis zum Verschwinden am Horizont lässt die Zeit zum Take-Off dahinschmelzen. Hinter mir wird eine Physikaufgabe besprochen. Zum Glück geht es um Schmelzenthalpie und nicht um die Unmöglichkeit von Aerodynamik.
Ich könnte nochmal das Bordmagazin durchblättern, das ich schon beim Hinflug auf interessante Artikel prüfte. Ich könnte noch einmal das SIM-Kartenwechselspiel spielen, um die Credits auf meiner luxemburgischen SIM mit teurem Datenroaming aus der Schweiz zu verbraten. Jetzt aber bewegt sich das Flugzeug, die Physikaufgabe ist mittlerweile zu einer Geschichte über absichtlich vergessene Pralinen geworden, der Zuzuhören ich mich gezwungen fühle. Je länger ich auf das Papier starre, umso heller fühlt sich das Draußen an, obwohl sich mehr Wolken vor den Himmel schieben. Das Beton des Rollfeldes, die weißen Flugzeuge, alles scheint mir unerträglich hell.
Es ist schon lange kein Flugzeug mehr gestartet. Jemand hat sich beschwert, die schlecht abgeschirmte elektronische Musik ist abgeschaltet. Über die Flugzeuglautsprecher spielen sie wieder Frank Sinatra (oder sowas), der übers Fliegen singt, beschwingt und fröhlich.
Mir fallen die Augen zu, aber ich glaube nicht an Schlaf. Bald wird ein weiteres Flugzeug sich erheben und mit einer unerträglichen Langsamkeit immer weiter in den hellblauen Sommerhimmel aufsteigen, um schlussendlich am Horizont zu verschwinden. (30/8/2016, Flughafen Zürich)