Als ich das mit dem Befindlichkeitsbloggen wieder einmal versuchen wollte

Manche Brunnen sind einfach nur Schächte, in die eins sich an einem Seil herablassen muss, bis das Wasser erreicht ist. Und dann hilft nur ein Sprung in das kalte Nass, um zu dem Grund zu kommen. Moderne Brunnen scheinen Fahrstühle zu haben, Förderkorb genannt, die zwar eine holprige, aber im Großen und Ganzen komfortable Fahrt in die Tiefe ermöglichen. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich wirklich am Grund eines Brunnens gestanden bin.
War ich früher melancholisch, obwohl ich noch kaum etwas erlebt hatte, so bin ich heute nostalgisch, weil ich kaum etwas erlebt habe. Ich lache gerne über dieses Konzept der „Fear of missing out“, tatsächlich aber trifft sie mich jeden Tag. In Gesprächen über das Älterwerden fällt mir immer wieder auf, dass es gar nicht das Älterwerden an sich ist, dass ich damit eigentlich ganz gut zurechtkommen würde – es ist mehr der Fakt, dass immer jüngere Menschen nachkommen und nun jung und cool sind.
Immerhin gab es früher mal Leute, zu denen ich aufblickte, die ich – ob zu Recht oder Unrecht – für unglaublich cool hielt und die ungefähr in dem Alter waren, in dem ich jetzt bin. Vielleicht gibt es ja junge Menschen da draußen, für die ich eine ähnliche Rolle spiele. Wohl eher nicht. Ich mein, was hat euch so ruiniert und wollt ihr nicht lieber eine Person mit einem Youtube-Kanal? Und falls ja: Fangt bitte nicht mit dem Rauchen an, das ist das uncoolste, was ich tue.
Aber eigentlich rauche ich ja überhaupt nicht. Das stand auf einem Umschlag, den ich aus Island geschickt bekommen habe, und bis zum Ende meines Wien-Aufenthalts hing er an der Wand. Am zweitletzten Tag, mitten in dem großen Umzugschaos, kommt K. nochmal vorbei und wir rauchen den Inhalt gemeinsam – obwohl ich ja eigentlich überhaupt nicht ehschonwissen. Vielleicht war das der Moment, in dem ich aufhörte melancholisch zu sein und nostalgisch wurde. La joie d‘être triste ist beides und in Wirklichkeit wäre es vermutlich ein Zeichen von Erwachsenenwerden, sich eine ordentliche Diagnose abzuholen.
Auch der Fahrstuhl endet im Wasser, das wesentlich bedrohlicher ist, wenn es knöchelhoch in einem Minenschacht steht. Ich möchte wieder singen. Das Lied, das ich immer singe, wenn ich nicht weiß, wo ich bin, wenn ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Aber hier, tief unter der Erde, singt kein Chor, kein Vogel, es zirpt nicht einmal eine Grille. Der große Seelenzeppelin wirkt unfassbar weit weg, und ich bin auf mich alleine gestellt. In mir alleine.