Maschinenraum

Als ich endlich merkte, dass ich gar nicht tief unter der Erde war

Betonstruktur mit einem Vorsprung.

Das Summen klingt mechanisch und dennoch melodiös. Immer wieder wandert mein Blick nach oben, an den Betonstrukturen entlang, bis ich meinen Kopf so sehr in den Nacken legen muss, dass es schmerzt. Ich versuche, meine Augen weiter nach oben zu rollen, so dass ich vielleicht endlich den unsichtbaren Chor, den ich vermute, im Augenwinkel erhaschen kann. Aber da ist nichts. Egal wie lange ich versuche, sämtliche Ecken, Nischen und Alkoven in dieser merkwürdigsten aller Kathedralen zu untersuchen, ich sehe keine robentragenden kapuzenbedeckten Gestalten, die dieses Geräusch, das ich immer noch als Gesang missverstehe, verursachen könnten. Ich stehe immer noch vor einer Konsole, meine Hände bewegen sich unwillkürlich darüber, ich drücke Knöpfe, die ich nicht sehen kann, mechanisch, muscle memory, als würde ich ein Passwort eingeben, das ich seit Ewigkeiten kenne.

Das Geräusch wird unerträglich laut und schrill.

So viele merkwürdige Träume, so viele Gedanken an Begegnungen mit Menschen, die schon so lange her sind, dass ich sie wirklich mal vergessen könnte. Und dann taucht dieser Vorname auf, ohne Vorwarnung, weil jemand einen Witz macht. Es gibt keinerlei Verbindung und dennoch möchte ich laut losschreien. Eine Person erzählt mir Sorgen, die mich an meine eigenen Sorgen und Gedankenspiralen damals erinnern und ich möchte nur noch darüber reden, als würde das irgendetwas ändern. Das ist doch kein Zustand, so kann das doch nicht weitergehen. Vielleicht müssen wir uns wirklich sehen und miteinander kämpfen, auf den Dächern über der Stadt schweben und alles ein für allemal klären. Habe ich nicht schon einen Monat lang darüber geschrieben? Oder zumindest: Geschrieben. Reicht das denn nicht?

Natürlich reicht es nicht. Es ist ungeklärt. Als ich damals gegoren wurde, ahnte ich: Es gibt von nun an Ereignisse in meinem Leben, die sich niemals ganz klären werden, und sie sind die Fasern, aus denen das Holz besteht, aus dem sich das Kreuz zusammensetzt, auf dem ich einst gekreuzigt werden werde. Das mag übermäßig dramatisch klingen, aber wenn es sich doch so anfühlt? Die Alternative wäre ein Zweikampf, der eine ganze Nacht andauert, oder eine Woche, oder halt eine Staffel Dragonball, denn mindestens so dramatisch wäre es.

Ich öffne die Augen wieder. Ich weiß nicht, warum ich dachte, die Augen zu schließen wäre eine effiziente Lösung gegen Lärm, aber diese ganze Expedition war insgesamt nicht meine brillanteste Idee, was also habe ich erwartet? Ich vermisse das dritte Augenlied, das sich horizontal über meinen Augapfel legen könnte und das meine Urahnen noch besaßen. Unter Wasser wäre das nützlich. Ich erkenne den Raum wieder. Ich bin überhaupt nicht tief unter der Erde, im Brunnenschacht. Das hier ist der Maschinenraum des Großen Seelenzeppelins. Mein Maschinenraum meines Zeppelins.

„Jetzt merkst du es?“
Die Stimme ist bekannt. Und so wie ich es nicht mehr ertrage, dass mein Handy vibriert, weil es mich jedes Mal reißt, so habe ich beim Klang dieser Stimme genau die gleiche Reaktion.

Ich will etwas sagen.
Eine Frage stellen: „Du? Hier?“
Die banalste Frage der Welt.

Foto: CC-BY Andreas Lever

Ein Kommentar zu “Maschinenraum

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