Als ich mich über eine Kolumne auf twitter aufregte und das dann verbloggte.

Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, nicht über (umwelt)politische Themen zu bloggen. Nicht, weil ich das nicht gerne tun würde, sondern weil ich meine Energie dafür lieber in meiner Arbeitszeit verwende. Und sonst das Gefühl habe, mir selbst Konkurenz zu machen und sich das Bloggen dann auch noch mehr wie Arbeit anfühlt. Nun habe ich aber heute Abend auf twitter in einem langen Thread über eine Kolumne gerantet, so dass ich das auch gleich auf‘s Blog stellen kann.
Die Kolumne heißt „Klimaschutz wird mit Naturzerstörung bezahlt“ und hat mich erreicht, weil ich für die Tweets der luxemburgischen Abgeordneten im Parlament eine eigene Tweetdeck-Spalte habe. Diesen genialen Einfall der Socialmediabeobachtung bezahle ich regelmäßig mit hohem Blutdruck. So auch diesmal. Aber zur Kolumne (Text ist ungefähr so wie meine Tweets):
Was für eine wunderbar quatschig argumentierte Kolumne. Das Argument geht so: In dem „Erneuerbare Energien Report“ steht „Erneuerbare müssen im Einklang mit Naturschutz geplant werden“. Der Autor schlussfolgert daraus, dass das nicht der Fall ist. Quelle: die eigene Meinung. Der Autor hat macht dann seine eigene, etwas … interessante Sichtweise auf die Entstehung der deutschen Grünen für diese Zerstörung verantwortlich. Die Grünen sind alles gescheiterte 68er*innen, die sich nach der geplatzten Weltrevolution der Ökologie hingewandt haben.
Diese bösen Ökos wollen den ganzen Planeten statt nur die heimische, „konkrete“ Natur schützen, deswegen pflanzen sie überall Windmühlen. Quellen für die naturzerstörende Wirkung der Windkraftanlagen werden natürlich keine genannt. In der Kolumne reicht Bauchgefühl als Argument.
(Mir fällt das immer häufiger auf, und es ärgert mich. Natürlich können persönliche Beobachtungen in solche Texte einfließen, aber wenn Journos ihre Plattform nur zur Verbreitung ihrer Stammtischargumentationen nutzen, machen sie meiner Meinung nach etwas falsch. Das ist jetzt natürlich nicht belegt, aber ich wage zu behaupten, dass ich für diverse Satireprojekte mehr recherchiert habe als die meisten konservativen Kolumnist*innen es oft tun. Es gibt gute Gründe für Medien, besonders online viele Meinungsformate zu publizieren. Die lassen sich – vor allem wenn es um die Verbreitung gefühlter Wahrheiten geht – schnell produzieren und bringen viele Klicks und Shares. Ob das irgendwem hilft, sei dahingestellt. Ich glaube nicht daran.)
Zurück zu der Kolumne: Windkraft vs. Naturschutz ist eine ~der~ großen Spannungsfelder ökologischer Politiken. In meinem Studium („Umwelt- und Bioressourcenmanagement“) war das so ca. die erste Einheit der Einführungsvorlesung. Die Bedenken, die formuliert werden, sind nicht neu. Dementsprechend viel Forschung gibt es auf dem Gebiet, vor allem was den negativen Einfluss auf Vogelarten angeht. Aber auch „The effects of wind turbines on antipredator behavior in California ground squirrels“ oder zum Beispiel „Effects of wind turbines and other physical elements on field utilization by pink-footed geese„.
In der EU gibt es halbwegs gute Prozeduren, die vor dem Eingriff in die Natur durchlaufen werden müssen, von Windkraftanlagen bis hin zu Golfplätzen. Die heißen Strategische Umweltprüfung und Umweltverträglichkeitsprüfung. Da könnten auch schon mal Windkraftanlagen nicht gebaut werden, weil eine Vogel-, Insekten-, Amphibien- usw. -art mit einem lustigen klingenden Namen da wohnt. Es sind natürlich immer Arten mit einem lustigen Namen, über den sich Menschen lustig machen können, denn warum wollt ihr hier kein Kohlekraftwerk, nur weil die Schwanzmeise da brütet? Haha, Schwanzmeise!
Die Wirksamkeit von SUP und UVP ist diskutierenswert, das Fass mach ich aber jetzt nicht auf. Dann gibt es in der Kolumne irgendein wirres Argument über Flächenverbrauch, das davon ausgeht, dass jetzt schon – und demnächst noch viel mehr – ÜBERALL Windkraftanlagen stehen. Wer zwei Minuten „recherchiert“ (googelt!) findet heraus: Die „Studie zur Ermittlung des bundesweiten Flächen- und Leistungspotenzials der Windenergienutzung an Land“ (Link zu pdf) des deutschen Umweltbundesamtes hat 13,8 % der Fläche der BRD als potentiell für Windenergie nutzbar ermittelt.
Die Studie sagt aber gleich, dass es nicht möglich (und auch nicht nötig) sein wird, da überall Windräder hinzustellen. Ich könnte jetzt viel über Flächenverbrauch erzählen, der halt vor allem durch Siedlungsbau und Verkehr vonstatten geht, aber ich weiß nicht, ob das so zielführend ist.
Mir scheint, dass es dem Kolumnisten (neben Grünen-Bashing, denn die haben ja gute Umfragewerte, erinnert ihr euch wie die AfD von konservativen Journos gebasht wurde als sie gute Umfragewerte hatte?) vor allem um ein ästhetisches Argument geht, also „Ich find Windräder unschön.“ Das ist dann doch etwas anderes als Angst vor Gesundheitsschäden durch Lärm bzw. Schattenwurf. Das sind ernste Argumente, die ernst genommen werden müssen. Wobei halt die Frage ist, warum (gefühlt oft) laute Straßen halt „naturgegeben“ sind und Windkraftanlagen gleich viel zu laut sind.
Und schlussendlich: Die Sache mit der „Natur“. Das ist so ein schöner Begriff. In einer Paralleldimension bin ich Philosoph geworden und schreibe den ganzen Tag Bücher über den Naturbegriff. Es gibt keine unberührte Natur mehr. Schon gar nicht in West- und Mitteleuropa. Was wir für schützenswert erachten, sind ganz oft Kulturlandschaften.
Das ist völlig OK, aber wir sollten uns dessen besser bewusst sein. Und Kulturlandschaften können sich halt auch ändern. Wenn Windkraftanlagen keine allzu negativen Effekte haben, warum nicht sie bauen? Dieses Spannungsfeld gibt es für viele sinnvolle Maßnahmen, z.B. bei neuen Bahntrassen.
Es ist halt leider auch das Ergebnis von Jahrzehnten verfehlter Landesplanung, wenn Menschen in „suburbs“ mit freistehenden Häusern an den Ortsrand ziehen und dann keine Windkraftasnlagen dort wollen. Ich wurde auf Twitter richtigerweise darauf hingewiesen, dass es auch Menschen gibt, die schon „immer“ in Dörfern leben und sich gestört fühlen oder gestört werden. Das Paradox, dass rurale Räume den Energiehunger der Städte auffangen sollen, lässt sich sicherlich nie ganz lösen, aber darauf muss die Politik auch mehr achten. Wie immer gilt es, die Bevölkerung so gut wie möglich in Planungsprozesse miteinzubeziehen.
Um dann noch einen halbwegs guten Schluss zu schreiben, was ich auf twitter irgendwie verpasst habe: Ja, Windkraftanlagen können „Natur zerstören“. Und nein, nicht jede Maßnahme gegen den Klimawandel ist automatisch eine Wunderwaffe, die von kollektiv organisierten Arbeiter*innen mit einem Lied auf den Lippen gefertigt wird und null Effekte auf die Umwelt hat. Diese Wunderwaffe gibt es nicht. Da jetzt aber zu sagen „Es gibt eventuelle Nachteile, deswegen ist die alte Lösung genauso gut“ oder zu sagen „Es gibt eventuelle Nachteile, deswegen nehme ich jetzt an, dass sie überall eintreten“, ist ein rein politisch getriebenes Argument, das lediglich der Re-Marginalisierung bestimmter Parteien dient. Es ist das „Aber die nutzen ja auch Flugreisen und essen aus Plastikverpackungen, dann können wir das mit dem Umweltschutz ja ganz sein lassen!“-Argument, auf eine Form der Energieerzeugung angewandt.
Der Autor der Kolumne hätte einige valide Punkte machen können, die ich in diesem kurzen Text angerissen habe. Es gehört zum politischen Spiel, die Aussagen der Gegner*innen verkürzt darzustellen, ihnen mangelndes Verständnis der Komplexität der Materie zu unterstellen. Ich finde es nur immer erstaunlich, wenn dann nicht einmal der Ansatz einer Lösung angeboten wird oder anhand von nicht-existierenden und gar erfundenen Fakten (Ich las vor nicht weniger Zeit wieder einmal die Mär vom Tofu, der für die Abholzung des Regenwaldes verantwortlich ist, weil dort ja so viel Soja angebaut wird. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um Futtersoja, das für die Produktion von Fleisch genutzt wird.) argumentiert wird.
Zum Thema „Was ist eigentlich Natur und was wollen wir das schützen?“ habe ich vor Jahren mal gebloggt: Natur schützen? und auch einen etwas kürzeren und schlaueren Artikel für‘s progress geschrieben: Bio-Dinosaurier-Sackerl.