Als Estragon mir seine Sneakersammlung zeigte.

(Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.)
Sogleich antwortete ein Hund irgendwo im Treppenhaus, der Stimme nach ein kleines, aber dafür sehr aufgeregtes Tier. Natürlich hatte mir Estragon nicht gesagt, in welchem Stockwerk er lebte, aber so wie die Verteilung der Klingeln war, wohnte er vermutlich ziemlich weit oben. Ich beschloss, dass es angenehmer sei, den Lift nach oben zu nehmen und mich nach unten an Estragons Wohnung ranzutasten als bei jedem hochgekraxeltem Stockwerk zu hoffen, endlich eine offene Tür zu sehen.
Als ich aus dem Lift austrat, hörte ich den Hund immer noch kläffen. Ich verstand nicht ganz, wie so ein kurzes Bellen so einen Wutanfall auslösen konnte, aber ich hatte noch nie viel von Hunden verstanden. Vielleicht saß der kleine Hund auch alleine in der Wohnung, in der ich irrtümlicherweise geklingelt hatte und regte sich lediglich deswegen so auf? Neben dem Hund fiel mir aber gleich auch das grinsende Gesicht Estragons auf, der mich verwirrt anstarrte.
„Hey, alles okay?“, fragte ich, ein wenig erstaunt über das vermeintliche Erstaunen.
„Ja, ja, alles gut! Danke dir! Schön dass du hier bist!“, antwortete Estragon, der so müde aussah wie ich mich plötzlich fühlte. Vielleicht war es der übliche Freitagsabendseffekt, der mich manchmal traf. Mit einem Schlag fällt mir die ganze vorherige Woche auf den Kopf und ich bin so müde, dass ich nur noch ins Bett kann oder zumindest auf die Couch, wo ich dann innerhalb weniger Minuten einschlafe. Aber das konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Ich musste Sitten, und das ging nicht, wenn ich dabei so müde war, dass mir die Augen zufielen. Aber Estragon schien es ja nicht unbedingt anders zu gehen.
Nach dem
Handschlag führte er mich in seine Wohnung. Noch während wir
eintraten, gähnte ich
„Ich bin ein wenig fertig, merke ich gerade. Dürfte ich dich vielleicht um einen Kaffee oder eine Mate bitten? Immerhin haben wir heute ja noch ein bisschen was vor.“.
„Na klar, na klar!
Ein wenig Zeit haben wir ja noch! Aber komm erstmal rein in die gute
Stube, haha!“
Er klopfte mir auf die Schulter und drückte
mich so durch seine Eingangstür, die er hinter uns schloss. Ich
stand in einem relativ kleinen, dunklen Gang, von dem in zwei
Richtungen eine Tür wegging. Ein Schuhregal, das voll mit den
verschiedensten Sneakern stand und ein Mantelbrett, an dem ebenso
viele wie verschiedene Jacken und Mäntel zu sehen waren, waren die
einzigen Möbel.
„Ich habe
Gästepantoffeln, wenn du willst?“
Estragon öffnete eine Tür
am Schuhregal und kramte umständlich zwischen den wohl nicht so
vorzeigbaren Exemplaren seiner Sneaker-Sammlung (oder das, was danach
aussah) nach einem Paar grauen Pantoffeln, die kaum mehr waren als
glorifizierte Socken. Aber noch ein Stück Stoff über meine
besockten Füße zu ziehen kam mir besser vor, als nur in ihnen
herumzulaufen, also nahm ich sie dankend entgegen.
Während ich mich
mit den Pantoffeln beschäftigte, hatte Estragon eine der Türen
geöffnet und war in die Küche getreten.
„Soll ich dir einen
guten starken Kaffee machen, oder möchtest du lieber eine Mate? Ich
hab eine Flasche kalt gestellt.“
„Wenn wir nachher zu Orangensaft über gehen, nehme ich jetzt die Mate. Das andere verträgt sich nicht so gut.“, sagte ich in die Richtung der Tür.