Als ich über meinen Musikkonsum nachdachte.

Zum Beginn des Herbsts fragte mich auf einer Party am Waldrand jemand, was für Musik ich so hören würde. Und mir fiel keine Antwort an. Keine gute auf jeden Fall, weil „Ich höre Chillwave-Mixes auf Youtube“ nicht wirklich eine Antwort auf so eine Frage ist. Irgendwie hatte es sich ergeben, dass aus einer Person, die religiös die Diskografie neuentdeckter Bands abhörte, um deren Werk zu verstehen, jemand geworden war, der Musik nur so nebenbei hörte.
Das sollte nicht so bleiben. Ich mochte diesen Zustand selbst nicht ganz, auch wenn ich Chillwave-Mixes auf Youtube immer noch etwas abgewinnen kann. Das Genre ist schon super, aber dann möchte ich wenigstens eine Ahnung haben, wessen Musik ich da höre, wie die Leute heißen, wer sie sind, wie ihre Alben aussehen. Ich legte mir zu meinem Geburtstag im Oktober also ein Spotify-Account zu – etwas, was ich davor vermieden hatte. Und die Statistik bei last.fm lügt nicht: Auch wenn ich im Januar mit neuen Tipps ins Jahr gestartet war und versuchte, viel verschiedenes zu hören, so flachte mein Musikkonsum spätestens im Februar wieder ab und blieb bis Oktober sehr gering. In den letzten beiden Monaten hörte ich so viele Tracks wie im gesamten Jahr 2018.
Ich habe für diesen Rückblick jetzt mal geschaut, welche Alben ich 2019 am meisten gehört habe. Das ist nicht unbedingt immer das einzige Kriterium, aber die quanitative Analyse zeigt doch ganz gut, was hängengeblieben (und sei es nur in der Wiedergabeschleife) ist. Und weil ich anders bin als andere anderen, mach ich meine Top Elf. In Wahrheit hab ich mich natürlich nur vertan und wollte den geschriebenen Text nicht mehr löschen, aber das müssen wir ja jetzt nicht diskutieren.
Marika Hackmann – Any Human Friend

Nummer Elf auf dieser Liste habe ich lustigerweise im Radio gehört. Manchmal finde ich die Plattenempfehlungen, die das öffentlich-rechtliche Radio Luxemburgs jede Woche so raushaut, nämlich gar nicht so schlecht. Die leise, dahinplätscherende Musik von Hackmann erinnert mich stellenweise an Entertainment for the Braindead, in dem nächsten Song dann schon wieder gar nicht. Ich habe das Album öfters gehört, aber nie einen Song als Favorit markiert.
K.Flay – Solutions

Hach, K.Flay! Es ist merkwürdig, wie ich als Jugendlicher dachte, ich hätte alle große Musik in meinem schon entdeckt, und es könnten höchstens noch neue Alben meiner altbekannten Größen hinzukommen. Und dann entdeckt eins mit Ende Zwanzig eine Person, die nur knapp zwei Jahre älter ist als eins selbst und einfach so viel des Lebensgefühls ausdrückt, von dem eins vor dem Hören der Musik noch gar nicht wirklich wußte, dass es existiert. Um K.Flay zu sehen, bin ich auf ein Imagine Dragons-Konzert gegangen (sie war die Vorband) und ich liebte es. Ich hatte ein klein wenig Angst vor dem neuen Album, aber als ich es dann hörte, war die wie weggewischt. Natürlich ist es anders, natürlich ist es nicht genau das gleiche wie Life As a Dog, mit dem ich sie kennengelernt habe. Aber hey, we‘re not in California anymore! Was auch eine Klimakrisen-Hymne ist. Alle guten Künstler*innen singen mittlerweile über die Klimakrise.
King Princess – Cheap Queen

King Princess macht großartigen queeren Pop. Mehr braucht es eigentlich auch nicht, um das Album zu lieben. Besonders „Hit the Back“ hat es mir angetan, aber die ganze Scheibe (auch so ein Wort!) gefällt mir. Vermutlich ist das eins der schönsten Dinge, im Jahr 2019 zu leben: genderqueere Menschen machen Pop, der ziemlich groß rauskommt und im Radio gespielt wird. Und sich, nebenbei gesagt, auch wunderbar anhört.
Buffy the Vampire Slayer – Once More, with Feeling

Ha! Es ist so ein Mysterium. Dieses Album tauchte schon vor 14 Jahren in meinem Rucksack auf, was ich mir bis heute nicht wirklich erklären konnte. Ich traute mich nie, die CD anzuhören und im Nachhinhein hätte ich es vermutlich auch alles nicht verstanden. Ich will dem Serien-Rückblick nicht zu viel vorgreifen, aber: Die Serie habe ich auch dieses Jahr erst begonnen, und freudig bin ich irgendwann bei der Musical-Folge gelandet und war begeistert. Besonders hat es mir „I‘ve got a Theory“ angetan, obwohl das überhaupt kein so grandioser Song ist, weil er einmal unterbrochen wird (Bunnies!). Trotzdem natürlich ein spannendes Stück Musik- und Seriengeschichte. Und hey, Musicalfolgen können total großartig sein!
Ex:Re – Ex:Re

Ich scheine ein Faible für Bands zu haben, die sich anders schreiben, als sie ausgesprochen werden. Oder zumindest ein bisschen anders. Ich tue mir auch hier mit dem Beschreiben schwer, da die Entdeckung noch ziemlich neu ist. Besonders „My Heart“ hat es mir angetan, dessen Stimmung im Albumcover (oder umgedreht) perfekt eingefangen wird. Menschen, die melancholisch vor sich hinsingen und dabei leicht instrumentalisiert begleitet werden, treffen halt mein Herz.
Telepathe – Destroyer

Diese Band ist ein großes Mysterium für mich. Ich habe ja irgendwann irgendwo von dem Album erfahren (vermutlich bei Pitchfork?), warum hören das nicht mehr Menschen? Bei etwas mehr als 4.000 monatlichen Hörer*innen bei Spotify und der Grandiosität dieses düsteren und tanzbaren Elektropops stelle ich mir ernsthaft Fragen. Die Lyrics lassen sich leider auch nicht auftreiben. Das Album ist schon von 2015, ich hab es selbst schon im Radio rauf und runter gespielt und werde sicherlich auch 2020 nicht aufhören, es zu hören. Ihr solltet das auch tun.
Billie Eilish – WHEN WE ALL FALL ASLEEP, WHERE DO WE GO?

Ja, ich habe im April schon angefangen, Billie Eilish zu hören, also nicht erst wegen dem Video, bei dem es um Klimawandel ging. Ich weiß nicht genau, wie ich daran kam, warum ich damit anfing, aber ich kann es mir auch nicht verdenken. Solides Album, absolut durchhörbar. Und nein, das ist nicht nur war, was die Generation Z hören kann.
Big Thief – Two Hands

Vermutlich ist Platz vier tatsächlich die erste Spotify-Zufallsentdeckung, die mir so richtig das Herz gestohlen hat. Vor allem „Not“ finde ich so großartig herzbrechend, dass ich jedes Mal am Liebsten weinen würde, wenn ich es höre. Wenn Menschen melancholische Musik voller Sehnsucht machen, will ich mich ihnen immer gleich vor die Füße werfen. Oder mich neben sie setzen und mit ihnen weinen. Oder alleine weinen. Adrianne Lenkers wunderbare Stimme sticht direkt ins Herz.
Fever Ray – Plunge

Ich weiß natürlich ganz genau, wie es kommt, dass ein Album von 2017 ganz oben in meiner Heavy Rotation auftaucht: Es war auf meiner Festplatte. Außerem eignet es sich sehr gut zum Schreiben, zum im-Hintergrund-laufen-lassen-und-trotzdem-insgeheim-mitsingen. Ich liebe Rays Stimme, ich liebe die Beats, ich liebe wie treibend die Musik ist. Plunge fühlt sich an wie ein hektisches Blubberbad, in das ich mich trotzdem – oder gerade deswegen – immer wieder gerne lege.
Warpaint – Heads Up

Zu Nummer Zwei in dieser Liste habe ich meinen (immer noch unveröffentlichten) Roman geschrieben. Zu diesem Soundtrack habe ich mein Herz mühsam wieder zusammengekittet und die schwierigsten Aufgaben meines Lebens (zumindest fühlten sie sich damals so an) gemeistert. Ich liebe einfach alles an diesem Album. Das großartige, großartige Cover, jeden einzeln Song, die Energie und die leise Melancholie, die immer wieder mitschwingt.
Meiko – Playing Favorites

Dass dieses Album als erstes auf der Liste auftaucht, verwundert micht ehrlich gesagt ein wenig. Nun gilt hier der gleiche Grund wie bei Fever Ray. Mir wurde das Album empfohlen, und ich bin leider ein bisschen ein Sucker für gute Coverversionen. Und die hier sind beinahe alle sehr gut. Also liefen sie in der Endlosschleife. Wenn ich eine qualitative Auswahl treffen müsste, wäre Playing Favorites vermutlich eher nicht in der Liste. Aber quanitiativ habe ich viel davon gehört, 2019. Und das sagt auch was.
Ich war, wenn ich mich recht erinnere, auf nur einem einzigen Konzert, nämlich von Amanda fucking Palmer. Und das war auch nicht so wirklich ein Konzert, denn Frau Palmer hat vor allem geredet. Ich fand das alles großartig und zu Tränen rührend, aber so viel Musik gab es halt nicht. Auch wenn sie die Orgel in dem Konzertsaal ausprobiert hat, worauf ich insgeheim seit Anfang gehofft hatte.
Top 10 Songs
- Men Without Hats – Safety Dance (großartig, weil eigentlich jemand auf twitter seinen Hass auf den Song und das noch großartigere Video ausdrückte. Seitdem liebe ich ihn heiß und innig)
- Warpaint – So Good
- King Princess – 1950
- Meiko – Stand By Me
- Meiko – (Sittin‘ On) The Dock Of The Bay
- Big Thief – Not (<3!)
- Princess Nokia – Sugar Honey Iced Tea (S.H.I.T.) (das hat mir Spotify aufgedrückt. Ja, ich hab das ein zwei Mal gehört, weil es großartig ist, und dann war es immer wieder da und ich hab‘s immer und immer und immer wieder anhören müssen.)
- Telepathe – Slow Learner
- AJJ – People II: The Reckoning
- Meiko – Wandering Star
Fazit
Mehr Musik hören lohnt sich. Ich freue mich wie immer über Empfehlungen und liebevolle Arschtritte, damit ich mich auf Konzerte bewege. Und Chillwave bleibt trotzdem toll.
EVERYBODY LOOK AT YOUR HANDS!
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