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Und der Moment gehört uns

Im Bus nach Hause. Die Sonne blendet mich, ich blinzel, es kitzelt. Ich fahre durch die Stadt, der Bus halb voll. Oder halb leer. Gibt es überhaupt Bus-Optimismus? Um mich rum telefonieren Leute, die ich gleich nicht mehr hören werde. Aus meiner Umhängetasche krame ich meinen iPod mit den teueren Kopfhören raus. Ich stecke mir den ersten ins Ohr, jetzt bin ich halb taub. Als ich den zweiten Gummipfropfen in mein Ohr stecke bin ich in einer anderen Welt. Alles ist still. Play.

Die Musik ist laut, der Bass soh nah, dass ich glaube die Saite wäre quer durch meinen Schädel gespannt und würde dort mit sanfter Hand gezupft. Im Hintergrund der Aufnahme Geraeusche, das dumpfe Schlagen der Kickdrum.

Seine Stimme. Er singt nicht besondert gut, aber jede Vibration, jedes Zittern seines Kehlkopfes bedeutet Ehrlichkeit, bedeutet Leidenschaft. Und noch immer diese Ruhe: Bass, Schlagzeug, manchmal eine Gitarre, die ganz verirrt einen Satz spielt. Die Ruhe hat was angespanntes, dieses große Gefühl, das wie ein Tier gefangen ist, und gleich raus darf. Die Spannung und die Abendsonne, die dir entgegen scheinen. Die Melodie treibt, im Gegensatz zum Bus, der im Verkehr fest steckt. Schwerfällig, Schritt für Schritt.

Das Intermezzo baut Spannung auf, die Gitarre fängt kurz an ganz leicht zu spielen, fast zu schweben. Und wieder zurück in diesen treibenden Teil des Liedes, immer weiter, immer weiter.

Und wieder dieses Intermezzo, und man spürt, dass es diesmal nicht dabei bleibt. Und dann wird es still. Die Ruhe vor dem Sturm. Bis die Gitarre anfängt zu schrammeln und zu schreien, und aufgefangen wird vom Bass und dem Schlagzeug, die wiederkommen, und den Weg bereiten:
Der Krach wird ergänzt durch seine Stimme. Meine Augenhöhlen fangen an zu jucken, und ich weiß, dass es nicht daran liegt, dass die Sonne blendet: ich kann mir eine Träne nicht verkneifen. Wie er in diesem Gefühl von Panik, Grenzenlosigkeit und Trieb, in diesem Zerfall und dieser Hoffnung, mitten aus dem Nichts, die schönste Liebeserklärung der Welt macht: Du wirst bei mir alles finden, was du brauchst.

Das, was ich ihr damals versprochen habe, und alles tun will, um es wahr zu machen.

Wie das hier endet und wie alles wird weiß ich. Und das Lied auch. Das ganz Große endet nach 6 Minuten und 2 Sekunden. Nächstes Lied. Der Bus steht noch immer im Stau.

(Das Bild kommt von http://www.flickr.com/photos/kaleenxian/3478032301/)

Zwischen Heidsieck und Hofer-Vodka

Ein Gastartikel von Jonas Grünholz. Jonas Grünholz wurde 1987 in Österreich geboren und zog 2008 nach Wien und studiert momentan Wirtschaftswissenschaften an der WU Wien.

So war das also. Es waren noch die „noughties“. Ich war am Gymnasium und meine Matura ließ auf sich warten. Genau wie mein nächster Frisörbesuch. Zum Haareschneider ging ich nie, was sollte ich auch da, ich kann mich ja selbst nicht sehen, außer im Spiegel. Und vor allem, wozou brauchte ich das alles, wenn ich mir von den 15 Euro fir den Frisör auch die neue Platte von Oasis kaufen konnte. Irgendwie war das ja schon cool, Außenseiter und Genie zu sein. Geek eben – Leistungsfach Bio und Informatik. Wohin wusste ich auch: Bioinformatik in Aachen, teutonische Hochburg der Wissenschaften. Jeder wusste davon, die einzigen die davon nichts wissen wollten, war die RWTH. Auch gut – und ja, früher war ich gut mit Projekten. Ich hatte an meiner Schule geholfen die Stundenpläne zu glätten und habe einem Freund geholfen sein Taxiunternehmen aufzubauen.

Also ging ich nach Wien, an die Wirtschaftsuni und studiere nun BWL und Projektverwaltung. Meine Wohnung im Neunten, unweit der Votivkirche, meine Uni in der Nähe.

Moment – Ich studiere Wirtschaftswissenschaften? Da fehlt ein Teil meiner Geschichte: Einige meiner Freunde besuchten ein Wirtschaftsgymnasium, und ich hasste sie dafür. Ich hasste sie dafür, wie sie mit Ihren WAP-fähigen Handys ihre eMails „checkten“, wie sie Freitagsabends in die Stadt gefahren sind und getrunken haben, bis sie nicht mehr wussten, wer sie waren. Und von Mädchen erzählten, die es nie gab. Später kam dann Koks, für mich damals der Stoff der Reichen und Schönen. Meine tiefste Verachtung galt alle denen, die BWL, Jura oder ähnliches machen wollten. Und die sich in Ihren billigen oder viel zu teueren Anzügen, mit Ihren Zigarren, ihrem Cognac und Papas Audi toll fanden.

Und plötzlich sitze ich montags morgens mit euch in einer Vorlesung, während der Dozenz über Intrinsik und Instrumentalismus redet, und ihr mit eueren iPhones und Netbooks auf Facebook die Mädchen von letztem Wochenende kuckt.

So weit, so befremdlich.

Ich bin gut, bei dem, was ich mache. Vielleicht sogar besser, als als Chemiker. Und sogar besser als die meisten, die mich im Gymnasium überholten. Es dauerte 2 Monate, da schloss ich mich einem Berufsverband an, 2 Monate später war ich auf meinem ersten Networking-Event. Networking heißt Visitenkarten tauschen, billigen Weißwein saufen (Weißwein hinterläßt keine Flecken auf den Böden von Konferenzsälen), und währenddessen entscheiden, mit wem man nach Hause geht: Die 20-jährige Brünette, deren Vater im Vorstand der Wiener Stadtwerke sitzt, oder die 38-jährige die mir ein Praktikum angeboten hat, wenn ich nachher noch zu Ihr nach Hause zu einem Vorstellungsgespräch käme. Ich bin für die jüngere Ausführung.

Und trotzdem bleibe ich bei meiner Einstellung: Flex und Fluc.
Und genau dort entsteht meine kognitive Dissoanz: Ich gegen Ich.

Der Flow von damals ist noch da, und das ist sogar gut. Neben den ganzen Neureichen sticht man raus – und irgendwie mögen sie einen auch dafür. „Ach, der Jonas. Er ist ein netter Typ und hat was drauf. Aber irgendwie ist er komisch.“ Komisch heißt: nicht wie wir. Und das bin ich nicht, darum ist das kein Vorwurf gegen mich.

Bloß wie lange kann man eigentlich mit denen Leuten rumhängen, ohne wie sie zu werden. Wie lange kann man Cocktails für 15 Euro trinken, bis man Hofer-Vodka nicht mehr geil findet? Wie lange kann man in Luxuswohnungen  schlafen, bis die eigene Bruchbude scheiße wird? Wie lange kann man in die Oper gehen ehe das Flex eklig wird?

Und dann ist da noch die Entzauberung der „neuen“ Welt. Die Partys, das Koks, der schnelle Sex. Wenn man da war, versteht man, dass das alles nur eine Illusion ist.

Die Partys sind nur Schutzwall vor‘m Allein-Sein. Das merkt man schnell, wenn es einem klar wird, nach welchem Schema die Partys laufen, nach welchem System immer wieder die gleichen Gespräche geführt werden mit den gleichen Leuten die man hasst. Und die einen auch hassen. Das gleiche gilt für den Sex, der unsinnig und kalt ist, und nur dazu dient, nicht allein zu sein. Koks erfüllt dort eine Doppelfunktion: einerseits als Eisbrecher, Katalysator für Smalltalk, Sozial-Sein und Sex. Andererseits als Aufputschmittel, weil es den Leuten hilft in Stressmomenten durchzuhalten. Vom selbstbestimmten Rausch zum Treibstoff.

Ich  habe Angst. Ich kann in diesen zwei Welten leben, und ich weiß aus welcher Welt ich komme. Ich komme von „unten“, auch wenn mein „unten“ für 90% der Weltbevölkerung „oben“ ist. Und ich kann mich „oben“ aufhalten. Aber „oben“ verführt. Es erinnert mich an ein Spiel auf meiner Zeit als Kind: Ich hab mir Superkleber auf den Finger geschmiert, und damit probiert an Papier zu fassen, aber genau so lange, dass ich nicht festklebte. Wenn ich meinen Finger abzog, und ein Stück Papier kam mit, dann hatte ich verloren. Und wenn ich das nächste mal in‘s Flex gehe, und die Leute ohne Geld, die ihren billigen Fusel trinken scheiße finde, hab ich verloren.

Ich möchte da nicht mitmachen. Ich möchte das nicht sein. Aber wie kann ich meine Leidenschaft verfolgen, wenn sie in einer Welt angesiedelt ist voller Wracks, voller Unlust, voller kaputter Menschen?

Bilder: http://www.flickr.com/photos/pokpok/2416518231/, http://www.flickr.com/photos/urbanlatinfemale/4329678620/