_

Freewriting #9

2811 Wörter. Ich glaube, das ist der bisherige Rekord. Und das, obwohl ich das Gefühl hatte, sehr langsam zu schreiben. Merkwürdig. Jedenfalls, hier ist das Resultat:

Sie hatte einen merkwürdigen Traum gehabt. Immer wenn sie geträumt hatte, musste sie danach an Sigmund Freud denken. Konnte man nach dem alten, bärtigen Mann überhaupt noch etwas nichts-sexuelles träumen? Deutete in der sexuell überlasteten Welt des Psychoanalytikers nicht alles auf irgendwelche geheimen Gelüste oder sexuellen Traumata in der Kindheit hin?
Sie mochte das nicht.
Ina mochte ihre Träume nämlich auch, ohne sie sexuell zu deuten.

Sie hatte auch (noch) nie einen feuchten Traum gehabt. Was auch immer daran so toll sein sollte, hatte sie sowieso nie verstanden. Immerhin war Sexualität schöner, wenn man sie aktiv erfuhr, anstatt sie bloß zu träumen. Sie träumte immer von merkwürdigen Landschaften, durch die sie weite Spaziergänge unternahm und auf bekannte und unbekannte Personen traf. Verzerrte Gesichter und physikalische Gesetze beherrschen diese Traumwelten, in denen sie lange Nächte nach Wegen suchte, die sie manchmal fand, manchmal aber auch nur suchte. Manchmal träumte sie auch von Leuten, die sie in der Realität nicht gut kannte. Meistens war das irgendein Unsinn, den niemand einen auch nur als Traum geglaubt hätte, weil man der Ansicht der meisten Leute nach sehr viele Drogen nehmen musste, um auf solche Gedanken zu kommen.
Was Ina nicht davon abhielt, weiter solche Träume zu haben.

Diesmal hatte sie von ihm geträumt. Sie hatte überhaupt nicht lange geschlafen, nur vor einer Stunde, nachdem sie ihr Zimmer fertig aufgeräumt hatte, hatte sie sich auf das frisch bezogene Bett gelegt, einen dummen Witz erfunden und war kurz eingenickt. Und da hatte sie, im Halbschlaf, von ihm geträumt. In ihrem Traum saß er auf einem Baum und spielte ein Kartenspiel mit einem Frosch, der ebenfalls auf einer Astgablung saß. Sie war im Traum auf den Baum geklettert und hatte ihn geküsst, in der Erwartung, der würde sich dann in einen Frosch verwandeln. Statt dessen hatte er eine Erdbeere vom Ast gepflückt und sie ihr gegeben.

Ina fand den Teil mit der Erdbeere am merkwürdigste, wenn sie jetzt darüber nachdachte. Diese kleinen Details machten Träume so surreal. Alles andere kam auch in Märchen vor. Aber in Träumen musste man sich nicht an physikalische oder botanische Gesetze halten. Oder eher: Die Träume hielten sich nicht daran. Sie hatte gelesen, dass es wohl Menschen gäbe, die bewusst träumen konnte, aber ihr gelang das nicht einmal im Halbschlaf, wenn sie ganz fest an irgendetwas dachte. Meistens träumte sie dann überhaupt nichts. Auf jeden Fall mochte sie Freud nicht. Einmal war sie ihm auch im Traum begegnet. Er hatte selbst auf einer Couch gelegen und Mittagsschläfchen gehalten. Ina hatte ihm im Traum, und vielleicht war das das einzige Mal, dass sie bewusst eine Aktion in ihren Träumen beeinflusst hatte, den ausgestreckten Mittelfinger vor die Nase gehalten.

Freewriting #8

Diesmal auf der Hand geschrieben, deshalb „nur“ 1563 Zeichen.

Ina wusste nicht so Recht, was sie eigentlich genau vermisste. Ihre Kindheit war glücklich gewesen, jedenfalls so weit sie sich erinnern konnte. Immer, wenn jemand das Wort »Kindheit« sagte, musste sie an die Apfelbäume hinter dem Haus denken. In ihrem Kopf tauchte das Bild von goldener Herbstsonne, die durch die dicken Blätter auf sie und die glänzenden Äpfel fiel. Sie hatte ihre gesamte Kindheit auf diesen Bäumen verbracht. So jedenfalls war das Sinnbild, das natürlich nicht stimmte.

Sie hatte natürlich eine ganze Reihe von anderen schönen Erinnerungen, die sie nur zu gerne aus dem süßen Einmachglas mit der Aufschrift »Kindheit« hervorholte und dabei glückselig lächelte.
Vielleicht war es genau das. Sie tat das viel zu oft, um diese unschuldigen Zeiten nicht zu vermissen.

Unschuld, gepaart mit einer naiven Unwissenheit, die die Welt in einem goldgelben Licht erscheinen lässt. Das war es, was sie vermisste. Das Leben, wenn man sich seiner erst einmal bewusst geworden war, war nicht mehr unbeschwert. Es war nicht einmal mehr einfach, oder gar einfacher.

Das war auch ein Teil von dem, was die Melancholie auslöste. Sie hatte nie wie Peter Pan ewig Kind bleiben wollen, aber sie hatte Versprechungen gehabt. Verschiedene Dinge hatte sie sich selbst versprochen, andere hatte die versprochen bekommen, so wie Erwachsene nun mal Kindern Dinge versprachen, die sie eigentlich gar nicht wissen konnten. Oder sie sagten einfach »Jaja« zu dem Gebrabbel des Kindes, ohne zu merken, dass sie damit ein für das Kind gültiges, bindendes Versprechen abgegeben hatten.

Freewriting #7

Was war diese ganze »Liebe« überhaupt? Konnte man dieses Gefühl irgendwie beschreiben, in Worte fassen oder auch nur erahnen, was es eigentlich bedeutete? Sie wollte eine Beziehung, aber war das direkt Liebe? War eine engere Freundschaft mit Küssen und Sex nicht auch eine Beziehung? Und war es wirklich das, was sie wollte?

Sie wollte ihn vorlesen hören. Sie wollte selbst ein wenig zu dem, was er erzählte, kritzeln, vielleicht sogar diesmal Etwas konkretes, schönes zeichnen. Das war doch eigentlich eine schöne Arbeitsteilung: Er schrieb diese wunderbaren Geschichten und Gedichte, sie zeichnete dazu die Bilder, die er in ihren Kopf zauberte. Aber sie würde es bestimmt wieder nicht schaffen, das abzubilden, was er in ihrem Kopf hervorrief. Aber er könnte Liedtexte schreiben, und sie würde sie für ihn spielen. Wenn es sein musste, auch nackt.

Brachte eine gemeinsame künstlerische Betätigung zwei Menschen näher? War es einer Beziehung förderlich, sich auch auf diesem doch sehr persönlichem Gebiet zu ergänzen? Und vor allem: Machte sie sich nicht zu viele Hoffnungen in ein Gespenst, das sie nicht einmal wirklich kannte?

Sie Strich über ihren glatten Beine, an der Stelle wo ihre Hose auf ihre Socken traf. Da sie im Schneidersitz auf ihrem Bett saß, war dort ein Stück nackte Haut zu sehen. Sie mochte es, glatte Beine zu haben und diese zu berühren. Ein Gefühl von Reinheit, Unberührtheit, ja Jungfräulichkeit.

Dabei war Ina doch alles andere als unberührt und jungfräulich. Ihr Exfreund hatte mal gemeint, sie wäre versaut, aber das hatte er positiv gefunden. Sie wusste nicht, ob das stimmte. War „versaut“ nicht nur eine Messlatte, die jeder anders legte? Sie hatte ihre Bedürfnisse, ihre Triebe und sie hatte die mit ihm zusammen ausgelegt, und das war schön, und, wie sie fand, richtig.
Aber sie meinte nicht nur ihre sexuelle Unversehrtheit, die ihrer Meinung nach nicht mehr existierte. Es war etwas anderes, ein großer dunkler Fleck tief in dem Brunnen ihrer Seele, der sie störte, den sie eigentlich verabscheute und sie dennoch zu dem Menschen gemacht hatte, der sie heute war.

Hatte jeder einen dunklen Fleck tief in seinem Inneren? Sie stelle sich ihn noch einmal vor. Seine Haare, einen Hintern, eine Augen, sein Körper, den sie gutausehend fand, von dem sie aber nicht wusste, ob sie ihn nicht bloß hochromantisierte zu dem Helden ihrer feuchten Träumen, von denen sie in Mädchenzeitschriften immer gelesen hatte, die sie aber nie gehabt hatte. Wie sah sein Inneres aus? Ina glaubte, dass jemand, der so wunderbare und schöne Texte schrieb, nur eine wunderbare und schöne Seele haben konnte, aber was war das für ein Gedanke? Als ob die Schönheit der Seele mit der äußeren Schönheit zusammenhängen würden! So etwas wollte sie eigentlich nicht denken.

Sie betrachtete noch einmal ihr Zimmer, und ihr Blick fiel auf ihr großes Bücherregal, in dem nicht nur die verlorenen Träume ihrer Kindheit, sondern auch jene Werke standen, die sie in jüngster Zeit beeinflusst hatten, die sie inspiriert und ermutigt hatten, wieder zu träumen. War das nahende Ende der Pubertät der Beginn einer neuerlichen Entdeckung der Magie, eine Wiederverzauberung der Welt und des Lebens?

Ina vermisste das Gefühl, das sie in ihrer Kindheit gehabt hatte. Regenbogenfarbene Tagträume waren damals an der Tagesordnung gewesen. Was war heute daraus geworden?

Freewriting #6

2500 Zeichen heute. Ich bin zufrieden, auch wenn ich teilweise etwas gestockt habe und relativ oft während des Schreibprozesses an Sätzen gefeilt habe. Aber ich komme da nicht wirklich drum herum.

Sie hoffte, dass er ihr etwas vorlesen würde. Zum Beispiel das, was er im Zug geschrieben hatte. Woran er wohl dachte, wenn er unterwegs zu ihr war? Was trieb ihn an, sie zu treffen? Und wie war wohl seine innere Reaktion auf ihren Vorschlag, sie bei ihr zu Hause zu besuchen, gewesen?
Sie mochte seine Stimme. Einmal hatte er ihr am Telefon ein Gedicht von sich vorgelesen, und sie hatte gehofft, es würde ewig dauern. Er beruhigte sie, versetzte sie in eine gewisse Stimmung, die sie entspannen lies und sie gleichzeitig fast verrückt machte. Was würde heute Nachmittag passieren?

Ina hatte schon merkwürdige Erfahrungen mit solchen ersten Begegnungen gehabt. Einmal war zu heftigen Knutschereien gekommen, andere Male wusste sie danach noch weniger, was sie denken und wollen sollte als vor dem Treffen. Aber diesmal sollten die Dinge ja auch ein wenig anders sein, immerhin war er nicht irgendein Date, sondern jemand, der sich sie ausgesucht hatte, weil er sie im Bus gesehen hatte.
Er hatte ihr allerdings nie erklärt, wieso er gerade ihr diesen Zettel gegeben hatte. Sie war damals nicht sonderlich hübsch oder aufreizend angezogen gewesen, noch hatte sie ihn beim Einsteigen angelächelt oder zu ihm hinübergesehen. Sie hatte nur Augen für die Straße, die Welt jenseits der Scheibe gehabt und versucht, sich nicht auf die stumpfen Gespräche der kaugummikauenden Modeopfer zu konzentrieren. Sie hielt sie für Modeopfer, was aber nicht bedeutete, dass sie nicht selbst irgendeiner schwammigen Mode folgte, die sich gewisse Dinge aus dem Mainstream herauspickte, sie mit mehr oder weniger unpassenden Dingen verband und so etwas kreierte, das man nicht an jedem Menschen sah, jedoch auch nicht völlig fremdartig wirkte. Die Kunst, aufzufallen und trotzdem kein Fremdkörper zu sein, gelang ihr meist.

Wahrscheinlich war es deshalb gewesen. Sie war ihm aufgefallen und dann hatte irgendeine Eingebung ihn veranlasst, ihr einen Zettel zu geben. Vielleicht, weil er gerade eine Geschichte im Kopf hatte und nicht weiterkam. Eine Muse brauchte. Er hatte das Wort »Muse« ein paar Mal verwendet, allerdings nur in Bezug auf andere Leute, die wohl Teil seiner Vergangenheit waren. Suchte er in ihr eine Art Inspirationsquelle, ein Modell für Personen in seinen Geschichten?

Ihr Exfreund hatte sowas ähnliches in ihr gesehen. Sie wusste bis heute nicht, ob ihr das wirklich gefallen hatte. Wollte sie geliebt werden, weil sie jemanden inspirierte, oder wollte sie jemanden inspirieren, weil er sie liebte?

Freewriting #5

Eigentlich gehört der Text noch zu Donnerstag, jedenfalls zum gefühlten Donnerstag. Es sind diesmal 2688 Zeichen geworden und ich bin sehr zufrieden damit. Auch wenn mich die Müdigkeit dann doch ein wenig gebremst hat.

Trotzdem mochte Ina ihr Buch. So unglücklich sie auch über den Inhalt war, so sehr war es dennoch ein Teil von ihr, den sie nicht missen wollte. In den Rändern waren manchmal kleine Erwähnungen über ihr Gefühlsleben zum Zeitpunkt des Eintrags. Sie dachte daran, was sie an dem Tag geschrieben hatte, als ihr Ex sie verlassen hatte. Bzw. als die Beiden sich getrennt hatten. Wie es genau gewesen war, wusste sie immer noch nicht. Vielleicht war sie auch gegangen?

Der Rand von dem Tag war gänzlich schwarz, auf den Seiten war jedoch ein Gedicht, über einen kleinen Vogel, der von der Freiheit singt. Es reimte sich nicht. Eigentlich reimte sich nie etwas, was sie aufschrieb, und wenn, dann hatte es zwar den Charme von lustigen Kinderreimen, nicht jedoch irgendetwas, was sie gerne veröffentlicht oder gar gesungen hätte.

Er schrieb viel. Jeden Tag, soweit sie wusste. Er hatte, das hatte er auf jeden Fall erzählt, ein ganzes Regel voll mit Notizheften, in denen er seine Gedanken, sein Gefühlsleben und auch Gedichte aufgeschrieben hatte. Sie stellte sich seine Schrift vor. Gerade und symmetrisch, sehr gepflegt, dabei nie dreckig oder verschmiert, selbst wenn er so schnell schrieb, wie er nur konnte, weil er fürchtete, die Gedanken könnten ihm davonfliegen. Nicht so wie ihre Schrift. Ihre Schrift war nicht einmal das, was man eine »typische Mädchenschrift« nannte und gemeinerweise durch eine sehr dicke Füllfederspitze zustande kam. Sie schrieb am liebsten mit einem sehr dünnen Fineliner und kritzelte nur. Wenn sie dann doch mal mit der Feder schrieb, verschmierte sie alles, weil sie Linkshänderin war und besonders bei »guten Einfällen« so hastig schrieb, dass es nachher eine wahre Plage war, die Einfälle noch zu entziffern.

Er hatte gesagt, er würde sein Heft mitbringen. Er nahm sein Heft sowieso überall mit hin und schrieb im Bus oder im Zug. Damals, als er sie zum ersten Mal gesehen und sie ihn zum ersten Mal wahrgenommen hatte, hatte er nicht geschrieben. Die Strecke war ihm zu kurz gewesen, und so hatte er nur einen Zettel an sie geschrieben. Die stammte allerdings aus seinem Heft. Ina glaubte, dass dies etwas zu bedeuten hatte. Jemand wie er würde nicht so leichtfertig seine kostbaren, wenn auch noch unbeschriebenen Seiten abreißen, um Telefonnummern auszutauschen. Ein kleines weißes Licht blitzte in ihrer inneren Dunkelheit auf. Es war das, was man gemeinerhin Hoffnung nannte. Sie wollte es wieder verdrängen, denn sie wollte sich nicht schon wieder mit zu hohen Erwartungen selbst verletzten. Aber vielleicht hatte sie diesmal doch Recht? Vielleicht war er wirklich so perfekt, so wundervoll, wie er manchmal – wenn auch nur in ihren Träumen, schien?

Freewriting #4

Heute nur 2354 Zeichen. Ich lasse definitiv nach, was die Geschwindigkeit angeht. Ich könnte das heute allerdings auch an meine Müdigkeit sowie mein allgemeines Gefühl schieben. Manchmal ist es wohl besser, einen Tag einfach Tag sein zu lassen und auf den nächsten zu hoffen. Die Geschichte von Ina geht auf jeden Fall wie folgt weiter:

Sie hatte sich jetzt ein ganz normales T-Shirt angezogen, wohl figurbetont, aber ohne Ausschnitt oder sonst was. Dazu trug sie eine schwarze Hose, in der sie Aussagen zufolge einen schönen Hintern hatte, aber sie konnte das trotz mehrmaligen Besuch der H&M-Kleiderkabinen nicht wirklich nachvollziehen. Was war überhaupt ein schöner Hintern?

Er hatte einen schönen Hintern. Obwohl sie den erst sehr viel später gesehen hatte. Sie hatte mal in irgendeiner idiotischen Frauenzeitschrift gelesen, dass soundsoviele Prozent der Frauen ihren Traummann erst von hinten gesehen hätten, ehe sie ihn dann angesprochen hätten und sich dann irgendwann etwas entwickelt hatte.
Sie hatte nur sein Profil gesehen, denn er hatte in der gleichen Sitzreihe im Bus gesessen wie sie. Währendem sie versucht, die hässlichen Mädchen mit dem neusten Modeschick und Kaugummi, die vor ihr standen und sich laut über irgendwelche Beziehungsgesichten von anderen Leuten unterhielten, zu ignorieren, hatte er sie offenbar schon länger beobachtet.
Als sie den Bus dann verlassen hatte, hatte sie ein Stück Papier auf ihrem Schoß gehabt. Sie hatte nicht bemerkt, wie er es dahingelegt hatte, aber es war da gewesen und darauf hatten zwei Sätze und seine Telefonnummer gestanden.

Sie hatte ihm eine SMS geschickt und danach telefoniert. Sie wusste noch, wer er war, aber konnte sich an keine Details mehr erinnern. So lange, bis sie sich durch Zufall noch einmal begegnet waren. An dem Abend hatten sie beide quasi zeitgleich vorgeschlagen, sich doch mal bewusst zu treffen.
Das, was sie bisher von ihm wusste, klang vielversprechend. Er spielte Gitarre, lass sehr gerne und interessierte sich für Kunst. Und er zeichnete kleine, aber feine Bilder, die sie an ihre eigene Kopfwelt erinnerten. Sie konnte selbst nicht zeichnen, stellte sich aber oft Bilder vor und hatte sie einfach im Kopf. All ihre Versuche, das was sie im Kopf hatte, auf ein Blatt Papier zu bringen, waren missglückt. Die fruchtbarsten Versuche waren noch die Gedichte und Liedtexte, die sie in ein kleines in graues Leinen gebundenes Notizbuch kritzelte, wenn sie mal wieder einen einfallsreichen Tag hatte. Kleine Randkritzelein wie Sternchen und der Versuch, organische Figuren zu zeichnen wechselte sich mit in schmieriger Schrift geschriebenen kurzen Gedichten, Liedtexten und musikalischen Idee für Lieder ab.

Freewriting #3

Heute habe ich exakt 10 Minuten geschrieben, und es sind die folgenden 2587 Zeichen geworden. Ich hatte heute das Gefühl, dass ich oft irgendwelche Sätze oder Forumlierungen verbessert habe, was man eigentlich später machen sollte. Trotzdem bin ich einigermaßen zufrieden mit mir. Ich bin mal gespannt was Ina noch so über sich verraten wird.

Ina wusste nicht wirklich, wieso sie noch immer nackt Bass spielte. Vielleicht war es nur die Macht der Gewöhnung, aber es konnte auch mehr dahinter stecken. Hatte ihr Exfreund immer noch einen unsichtbaren Einfluss auf sie, der so stark war, dass sie noch für ihn spielte?
Sie hoffte nicht. Diese Geschichte war vorbei, das Buch war fertig geschrieben und lag nun irgendwo in einem Schrank tief unten in ihren Erinnerungen, wo es ruhig verstauben sollte. Sie wollte es nicht herausnehmen. Die schönen Dinge sollte man konservieren, in Einmachgläser füllen und in eine Vitrine stellen, hatte mal jemand ihr geraten. Sie konnte die schönen Dinge nicht von den ekligen, schlechten Erinnerungen trennen. Teilweise hatten die letzten Tage, dieser Rosenkrieg auch noch einen Schatten auf die schönen Dinge geworfen, den sie nicht korrigieren konnte. Wenn sie den Schatten ausradieren wollte, musste sie alles ausradieren, und das wollte sie nun auch nicht. Besser eine verstaubte Erinnerung als überhaupt keine.

Was würde er sagen, wenn es je dazu kommen würde und sie ihm vorschlagen würde, nackt für ihn zu spielen? Sie malte sich schon vage erotische Geschichten aus und schalt sich sogleich selbst dafür. Sie hatte gelernt, wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man sich zu viele Hoffnungen machte und wollte diesen Fehler nicht noch einmal machen. Sie wollte die Sache diesmal ruhig angehen und sich nicht von voreiligen Fantasien antreiben lassen. Das war nicht gut für sie, und für die Beziehung, sollte je eine daraus werden, ebenfalls nicht.

Sie saß nun auf ihrem Bett und betrachtete den Bass, dann den Rest ihres Zimmers. Ihr Kleiderschrank, vor dem sie noch vor einigen Minuten gestanden hatte und sich angezogen hatte, nachdem sie aus der Dusche gekommen war. Sie mochte dieses Ritual. Bass spielen, Duschen, neue Kleider anziehen. Vor allem wenn sie ausging oder wie jetzt, jemand auf Besuch kam, war sie dabei besonders gründlich und versuchte, jeden Schmutz von ihrem Körper und aus ihren Haaren zu waschen.

Ina hatte versucht, sich »richtig« anzuziehen. Was war richtig für ein erstes Date im eigenen Zimmer? Gab es unterschiedliche Abstufungen der Gewagheit, je nach Ort, an dem man sich traf? Beim Eisessen durfte es vielleicht ruhig etwas mehr Dekolletee sein, da er ja von anderen Frauen abgelenkt werden konnte, während er im Zimmer sowieso nicht viel anderes tun konnte, als sie anzusehen und sie nicht künstlich mit tiefem Ausschnitt Aufmerksamkeit erregen musste. Sie hatte das merkwürdige Gefühl gehabt, ihr hätte beim Anziehen jemand über die Schulter geschaut.

Freewriting #2

Ich habe heute, wie Thierry es vorgeschlagen hat, die Idee von gestern aufgegriffen und weitergesponnen. Diesmal habe ich ganze 15 Minuten geschrieben, obwohl es eigentlich nur Zehn werden sollten. Allerdings war es eine dumme Idee, das Handy, das beim Ablauf des Countdowns vibrieren sollte, aufs Bett zu legen. Da hört man die Vibrationen nämlich nicht.
Anzahl der Zeichen in 15 Minuten: 3569, was statistisch gesehen 2379 Zeichen in 10 Minuten sind, das sind weniger als gestern. Ich bin aber zufrieden mit mir, dass ich den Schreibfluß auch eine Viertelstunde ohne Probleme aufrechterhalten kann und eigentlich noch Ideen habe. Hier das Resultat:

Zehn Minuten. Freewriting. Diesmal mit einem Glas Cola. Ist trinken erlaubt?

Ina war aufgeregt. Sie hatte ihn ganz spontan zu sich eingeladen, oder eher hatte er sich selbst eingeladen. Das stimmte auch wieder nicht ganz. Sie wollten sich treffen, ohne dass es ganz klar war, von dem der Anfangsimpuls ausgegangen war. Normalerweise wusste Ina bei Dates, ob sie oder ihr Date-Partner das Treffen einberufen hatte, aber diesmal hatte sie es vergessen oder es war nicht wirklich wichtig gewesen. Und dann hatten sie nicht gewusst, wo und wie und was. Das übliche Problem. Es fiel Ina schwierig, sich kreative Ideen für erste richtige Treffen einfallen zu lassen. Es gab eigentlich nur paar Möglichkeiten, die alle Vor- und Nachteile boten. Zum einen Kino, was zum Knutschen ideal war, aber sehr effektiv verhinderte, dass man viel redete und sich auf einer intellektuellen Ebene näher kam. Was ihr missfiel. Dann gab es das Café, wo immer die Gefahr bestand, dass man jemanden kennen würde, was dem Kennenlernen ebenfalls nicht wirklich zur Gute kam. Ganz kreativ hatte sie die Idee mit dem Eisessen gefunden, auf das sie sich eigentlich geeinigt hatten.

Eis war sexy, wenn es man es richtig aß. Ihre beste Freundin hatte mal die Theorie aufgestellt, dass es zwei verschiedene Möglichkeiten gab, ein Eis zu lecken. In Phallusform oder in Busenform. Wobei dabei das präferierte Geschlecht zu sehen wäre. Ina hatte bei mehreren Eiskugeln eher das Problem, dass sie darauf aufpassen musste, dass das Eis nicht herunter tropfte und ihr über die Finger lief. Was sehr wenig sexy war und man bei einem Date vermeiden sollte.
Anderseits stellte sich ihr die Frage, ob sie nicht im Allgemeinen zu viel Eis aß. Nicht gut für ihre Figur, obwohl ihr immer gesagt wurde, sie wäre auf keinen Fall zu dick, eher im Gegenteil. Sie wusste es einfach nicht. Vielleicht hatte sie überhaupt keine Meinung dazu.
Wie merkwürdig.

Es war jedoch nicht zum Eisessen gekommen, weil es heute regnete. Eine ganze Woche eitel Sonnenschein und heute, an dem entscheidenden Tag, wo sie ihn treffen und mit ihm ein leckeres Eis essen sollte, regnete es. Aber vielleicht war das gar nicht so furchtbar, wie es schien. Vielleicht würden sich in ihrem Zimmer sehr viel mehr Möglichkeiten ergeben als in der Eisdiele.
Auf jeden Fall würde er sehr viel mehr über die herausfinden. Er würde merken, dass die merkwürdig war. Ina fand das prickelnd. Sie mochte keine Versteckspiele und dennoch fand sie, dass sie gerade dadurch, dass sie diesem Jungen ihr Leben durch ihr Zimmer zeigen wollte, irgendwie versteckend und gleichzeitig exhibitionistisch.
Gab es nicht auch sowas im Fernsehen?
Ina schaute selten fern, und wenn, dann auch keine Musiksender, oder wie es heute wohl eher heißen sollte: Jugendsender. Denn Musik lief da eher selten. Oder Ina hatte immer zum falschen Zeitpunkt eingeschaltet. Aber sie mochte eh keinen Pop. Vielleicht brauchte sie auch gar keine Musikvideos, denn sie sah sich ja selbst jeden Tag Musik machen. Sie spielte Bass im Spiegel.
Manchmal auch nackt.

Ihr Exfreund hatte immer gesagt, dass ein Bass eine Frau oder ein Mädchen um 200 Prozent attraktiver mache als eine, die kein Instrument spielen würde. Sie hatte manchmal nackt für ihn gespielt, während er nur auf ihrem Bett gesessen hatte und ihr zugesehen hatte, voller erotischer Erwartungen. Das war nach und nach zu einem festen Ritual geworden. Sie übte wenn er da war, und wenn er da war übte sie wegen ihm nackt. Und so hatte sie es sich angewöhnt, nackt in die Saiten zu greifen. Vorhin hatte sie auch nackt gespielt.

Freewriting #1

Freewriting hat Thiery bei Serge in den Kommentaren erklärt. Ich fand das eine geniale Idee und will das jetzt mal ausprobieren. Mal sehen, wie lange ich das durchhalte. Ich habe also eben 10 Minuten lang ununterbrochen geschrieben. Dabei sind die folgenden 2741 Zeichen rausgekommen. Ich habe bloss noch die Rechtschreibung und typographischen Elemente geändert. Thierry darf das ganze gerne mal kommentieren. Das soll es jetzt öfters hier geben. Jeden Tag, am besten. Resultat von Versuch Nummer Eins:

Freewriting. Zehn Minuten ununterbrochen schreiben. Wagen wir es einfach. Mal sehen was dabei rauskommt.

Ich sitze in meinem Zimmer, das ich eben neu dekoriert habe. Also eben, das war vor ein paar Stunden, nicht vor 10 Minuten, wie ich gerade schreiben wollte. Und ich tippe wie ein Irrer, vielleicht auch, weil ich die 10 Minuten, so wie mir das kulturell immer nahe gelegt wurde, als Wettrennen sehe, in der es darum geht, so viel wie möglich zu tippen. Ich weiß nicht, ob das der Sinn ist, glaube aber eher nicht. Ich habe meine Wand mit Konzerttickets vergangener Konzerte aufgehangen.

Und irgendwann würden da auch Tickets von Konzerten hängen, die sie selbst gespielt hatte, dachte Ina und sah dann wieder zu ihrem Bass, der, metallisch glänzend ein Funkeln in ihren Augen auslöste. Sie mochte dieses Instrument, das oft unterschätzt wurde. Ein Bass macht nicht bloß „Bum Bum Bum“, ein Bass ist sehr viel mehr. Sie mochte ihn wirklich sehr, und übte jeden Tag so lange sie Zeit hatte darauf. Obwohl sie ihn gerade wieder in den repräsentativen Ständer gestellt hatte, kribbelte es ihr schon wieder in den Fingern, noch einmal zu üben. Sie wartete aber auf jemanden, und obwohl es irgendwie cool wäre, beim Üben unterbrochen zu werden, wollte sie sich von dem Gast, den sie erwartete, nicht unterbrechen lassen. Einerseits, weil sie Angst hatte, ihr Spiel könnte ihm nicht gefallen, und anderseits wollte sie ihm nicht das Gefühl geben, dass er sie störe. Denn das würde er auf gar keinen Fall tun.

Er wirkte immer so scheu, überlegte sie und insgeheim hatte sie sich schon oft gefragt, wieso. Eigentlich hatte er eine blendende Figur, ein schönes Gesicht und wunderbare grüne Augen. Grüne Augen waren etwas seltenes, und es war ein merkwürdiger Zufall dass er wie sie welche hatte. Wenn sie es sich recht überlegte, war er der erste Mensch, bei dem sie die grüne Augenfarbe sofort und bewusst wahrgenommen hatte. Sie hatte ihn überhaupt sehr bewusst wahrgenommen, was bei ersten Begegnungen bei ihr eher selten war.
Liebe auf den ersten Blick? Wohl kaum, denn dann müsste sie jetzt verliebt sein, und das war sie nicht. Es kribbelte höchstens ein ganz klein wenig an ihren Unterschenkeln, wenn sie ihn sah. Ihre Unterschenkel kribbelten, wenn sie aufgeregt oder verliebt war. Nicht ihr Bauch, wie es das Klischee war. Vielleicht war sie einfach merkwürdig.

Sie war schon immer ein klein wenig anders gewesen. Oder sich anders gefühlt. Sie konnte nicht wirklich mit dem Finger darauf zeigen, was sie denn genau von anderen Menschen unterscheiden würde, aber irgendwo tief in ihr drin hatte sie das Gefühl, dass sie anders war als die anderen Menschen, die um sie herum waren. Was stecke in ihrer Seele, was bei anderen nicht vorhanden war?