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Benzingeruch

photo cc by Christian Kadluba

Nacht. Ich kann nicht schlafen. Oder zumindest bin ich wieder aufgewacht und weiß instinktiv, dass ich so nicht einschlafen werde. Wenn ich das Gefühl habe, ist es sinnlos, liegen zu bleiben. Tue ich es trotzdem, werde ich mich stundenlang im Bett wälzen und erst in den frühen Morgenstunden auf meinem doch relativ unbequemen Sofa einschlafen. Da hilft auch dann der viel zitierte Tipp 2 nichts. Meine Hörbuch-Playlist ist am Ende, in meinem Zimmer ist es neben dem monotonen Brummen meines Rechners still. Ich ertrage diese Stille nicht.

Ob Ruth wohl schon schläft? Ob ich sie anrufen soll?
Nur zu gerne würde ich ihre Stimme hören, wie sie mir nette Kleinigkeiten ins Ohr flüstert.
Überhaupt vermisse ich es, nachts im Bett zu telefonieren.

Durch die viel zu hellen Vorhänge scheint das Licht der Straßenbeleuchtung, die an einem dicken, schwarzen Kabel über der Straße hängt. Weißes, kaltes Licht für eine kalte Straße.
Ich stelle mich ans Fenster, weil mir zu warm ist. Wieso es mir zu warm ist, weiß ich nicht, denn eigentlich ist es draußen zumindest frisch. Unter meinem Zimmer befindet sich eine Seniorentagesstätte. Die lassen wahrscheinlich den ganzen Tag die Heizung bollern. Oder wir haben eine Fußbodenheizung, von der ich nichts weiß.

Ich öffne das Fenster. Ruhig ist es. Tagsüber ist meine Straße eine viel befahrene Straße, eine Hauptverkehrsader des Bezirks. Sechshundert Meter weiter fährt sogar die Straßenbahn, an der Ende der Straße gibt es einen Umsteigebahnhof. Und eigentlich hört dort die Stadt in meinem Bewusstsein auf. Das ist natürlich Blödsinn, denn die Stadt geht noch weiter, mindestens noch einmal so breit wie bis zu mir zu dem Platz, an dem man umsteigen und Döner kaufen kann. Dann kommt der Wald, der wie ein grüner Gürtel um die Stadt liegt und in dem sich die Grenze versteckt, die die Stadt vom Land trennt. Vielleicht sollte ich mal einen Spaziergang wagen. Einen Spaziergang nach Niederösterreich. Klingt ein wenig Furcht einflößend. Als ob ich ein Hobbit wäre, der fürchten würde, sein kleines Dorf zu verlassen. (Wo habe ich letztens nur davon gelesen, wo war dieses Bild so trefflich eingebaut? Oh Gedächtnis! Oh Internet! Nichts findet man wieder, es bleibt nur der Schmerz, mal gewusst zu haben, dass …)

Wenn ein Auto vorbeifährt, hört man es schon am Gürtel einbiegen. Ein lautes Rauschen, das immer näher kommt, lauter wird, kurz wie ein vorbeifahrendes Auto klingt, um dann wieder ein Rauschen zu werden, dass leiser wird, sich entfernt, in Richtung Niederösterreich.

Laut sind die Autos. Lauter als sonst. Als habe jemand an den Lautstärkeregelern der Realität gespielt. Wo all die Leute wohl hinfahren? Vielleicht war ich lange Jahre meines Lebens zu gefangen in dem kleinen Großherzogtum, aber es erstaunt mich immer wieder, wie unglaublich viele Menschen es doch gibt. Hinter all den Fenstern in meiner Straße lebt jemand, in jedem Auto das übermäßig laut an mir vorbeifährt, sitzen Menschen, die irgendwohin wollen. Späte Erkenntnis hat Gold im Stuhl.

Es riecht. Nach Nacht.
Ich rümpfe die Nase, sauge den Geruch ein.
Ja, es riecht nach Nacht in der Stadt.
Der Geruch wird wohl eher jener von Benzin sein. Verflüchtigt sich Benzin in der Nacht einfach so aus Autotanks, die hier abgestellt stehen? Letztens lag ein Motorad umgefallen neben dem Gehsteig, an der Stelle, wo jetzt die weiße Vespa steht und nach Benzin und Nacht riecht. Genau so hat es auch in jener Nacht vor einem halben Jahr gerochen, als ich umgezogen bin. Mit dem Auto. Erinnerungen an Umwege durch ländliche Gebiete, mitten in der Nacht, als das Radio nur Musik spielte. Mein Gehirn vernebelt sich, die Müdigkeit kommt langsam, kriecht in meinen Geist und verhüllt alle Gedanken mit einer bleiernen Schwere.

Bald läuft mein Hörbuch wieder.
Draußen fährt ein Auto vorbei. Vielleicht zieht da draußen auf meiner Straße auch gerade jemand um.

Überwindung.

Die Dunkelheit umschloss ihn nicht mehr wie ein düsterer Schutzmantel aus Abwesenheit von Licht. Wie merkwürdig. Dunkelheit war bloß die Abwesenheit von Licht. War Schmerz nur die Abwesenheit von Freude? Nostalgie nur die Abwesenheit von richtigen Dingen, die man erleben konnte?
Es waren nur noch wenige Minuten bis zu ihrem Haus, und die Nacht hatte sich in einen grauen Morgen verwandelt, düster und regnerisch. Wieder trommelten dicke Tropfen auf der Scheibe, vermischt mit Schneeflocken.

Er hatte seine verrückte Idee durchgezogen. Oder er würde sie durchziehen. Er hatte ihr Land durchquert, hatte den Erinnerungen an jedem Baum, an jedem der verstreuten Häuser, an jeder Kreuzung und Biegung getrotzt, sich auf seinen Schmerz konzentriert und war einfach gefahren, gefahren, bis jetzt. Und jetzt?

Dieses Gefühl kannte er, aber eher aus anderen Situationen. Als er mit ihr in Urlaub gefahren war, hatten sie das gleiche gehabt. Kurz vor ihrer Ankunft hatten sie sich gefragt, wieso sie eigentlich so furchtbar lange mit dem Auto unterwegs gewesen waren, was denn eigentlich so toll an ihrem Ziel sei. Er konnte sich die Frage damals nicht beantworten, aber sie hatte wie so oft einen philosophischen Satz gefunden, der ihn auf andere Gedanken gebracht hatte. Vielleicht hatten sie aber auch nur über ein Mädchen gelästert, das zufällig über die Straße gelaufen war.

Jetzt lief niemand mehr über die Straße, denn hier gab es niemanden, der über die Straße laufen konnte. Diese Gegend war leer, und jene, die hier lebten, war weit über das eintönige Land verstreut. Gottverlassen hatte sie es genannt, doch in Wahrheit waren es die Menschen, die diesen Landstrich verlassen hatten – nicht, dass es je viele gewesen wären, und mit ihnen hatten sich die Kirchen, die sie als Beweis für die Abwesenheit eines Gottes – zumindest in ihrer Gegend, gesehen hatte, geleert.

cc by Quinn Anya Dombrowski

Keine Musik mehr im Auto. Alle Sender spielten unpassende Musik, alle Kassetten waren zu oft gehört.

Es war nun nicht mehr weit. Er fuhr langsam, um seine Ankunft nicht durch lautes Motorengeräusch frühzeitig anzukündigen. Als ob man ihn bei all dem Schneeregen überhaupt hören würde. Ob sie jetzt schon wach war? Er wagte es nicht, auf die Uhr zu sehen, weil er nicht feststellen wollte, dass er eigentlich noch warten sollte, ehe er sie aus dem Bett klingelte. Es gab hier keinen Ort, an dem man warten konnte.

Noch drei Kurven. Hier hatten ihre langen Sommerspaziergänge durch das kleine Wäldchen in der Nähe immer ihr Ende gefunden. Meist war es schon dunkel gewesen, wenn sie zurückgekommen waren, und um die hohe Straßenlaterne mit ihrem fahlen, mondscheinähnlichen waren Myriaden von Insekten geschwirrt. Nachtfalter, Mücken und dicke Käfer, angezogen von dem künstlichen Licht, bald im Netz der Spinnen.
Sie hatte damals gesagt, dies sei eine Metapher für die Menschen. Wir würden immer nach Glück streben, blindlings darauf zulaufen, ohne auf die Gefahren zu achten. „Das Licht am Ende des Tunnels ist nur allzuoft mit einem Spinnennetz überzogen“ war einer ihrer Sätze gewesen.
Er bekam heute wie damals bei dem Gedanken Gänsehaut und ein kalter Schauer fuhr ihm über den Rücken.

Noch zwei Kurven.
Er erinnerte sich an keine spezielle Situation zu diesem Ort. Aber er wusste, dass sie etliche Male hier vorbeigelaufen waren, und sicher hatte er sie auch einmal in einem Anflug von Leidenschaft hier geküsst. Sie hatten sich so oft geküsst. Er wollte nicht daran denken, sich nicht das Gefühl zurückrufen, wie es war, ihre Zunge in seinem Mund zu spüren, mit ihr zu spielen, diese Verbindung, die nur non-verbal sein konnte, einzugehen. Vielleicht war das ein Paradoxon ihrer Beziehung: Sie, die so viel miteinander redeten, Nächte damit verbrachten, sich gegenseitig zu erzählen und philosophische Gedankengänge auszubauen, küssten sich gleichwohl so oft, wobei sie nicht reden konnten.

Noch eine Kurve. Er fuhr noch langsamer. Er wollte nicht, dass sie wusste, dass er kommen würde, dass sie sich vorbereiten konnte. Er wollte vor ihrer Tür sehen und ihr Erstaunen, ihr hoffentlich freudiges Erstaunen sehen.
Gleichzeitig schwand sein Mut wieder, seine Hände und Unterarme kribbelten so stark, dass es schmerzte.

Er blieb stehen. Es gab kein Haus gegenüber von ihrem, so dass er dort parken konnte.
Er schaltete den Motor ab. Kein Geräusch mehr ausser dem monotonen Hin- und Her der Scheibenwischer, die die Frontscheibe von dem weißgrauen Schneeregen befreiten. Klare Sicht. Das war es, was er jetzt brauchte. Er fühlte sich aber als sei das komplette Gegenteil der Fall.
Wie im Traum richtete er seinen zerknitterten Pullover, strich sich durchs Haar, trank einen Schluck Wasser aus der warmen Plastikflasche, die auf dem Beifahrersitz lag. Dann zog er den Schlüssel aus dem Schloß und stieg aus.

Der frischgefallene Schneematsch knirschte leicht unter seinen dünnen Turnschuhen. Unbelehrbar, was festes Schuhwerk angeht, hatte sie immer gesagt. Dabei hatte sie öfters kalte und nasse Füße gehabt als er. Oder es öfters zugegeben.

Der kurze Weg über die Straße, über den Bürgersteig bis hin zu ihrer Haustür schien ihm endlos. Irgendwo bellte ein Hund. Sie hatte von einer Freundin erzählt, deren Hunde einmal einen Liebhaber gebissen hatten. Es hatte sich nachher herausgestellt, dass der Typ ein richtiges Arschloch war – das jedenfalls war ihre Schlussfolgerung gewesen.

Er atmete die kalte, feuchte Luft ein. Sie schmeckte nicht so frisch wie im Sommer, aber nach den langen Stunden der gefilterten und abgestandenen Autoluft war sie geradezu köstlich. Er wusste, dass er nun den Klingelknopf drücken musste. Er konnte sich noch einige Minuten lang damit ablenken, die bekannte weiße Fassade und die bekannten merkwürdig grünen Fensterläden und -rahmen zu betrachten und sich über die moderne Tür zu wundern, die nicht so recht zu passen schien, obwohl sie farblich und stilistisch genau angepasst war. Aber er würde diesen Knopf drücken müssen. Er konnte nicht so lange wie im Fieberwahn gefahren sein, um bei Sonnenaufgang bei ihr zu sein, um jetzt, vor dem Ziel, aufzugeben. Er wusste, dass er das nicht konnte, nicht wollte, und auch nicht tun würde.

Also klingelte er. Und nahm tief Luft.
Wieder bellte weit entfernt ein Hund.

Durch das kleine Milchglasfenster auf Sichthöhe sah er Bewegung auf der anderen Seite. Sein Herz raste. Das Kribbeln in seinen Händen war wieder da.

Die Tür ging auf. Geradezu geräuschlos.
Eine fremde Person starrte ihn an.
Ein Mädchen. Ihr Gesicht war rundlich, mit großen, hellen, braunen Augen und einem breiten Mund. Ihre Unterlippe war gepierct, ein dicker Ring. Ihr Haar war kurz, in einem grellen Blau gefärbt und wirkte strohig.
Sie war schön.
Ihr weites dunkelblaues T-Shirt konnte ihre in seinen Augen vorteilhafte Oberweite nicht verstecken, die nicht so recht zu ihrer restlichen zierlichen Figur passen wollten. Sie war barfuß. Er hatte ganz vergessen, dass das Haus über eine Fußbodenheizung verfügte.
Und sie trug knappe, schwarze Trainingsshorts.
cc by Jennanana

Er wusste, wem diese Shorts gehörten.

Fotos: Auto: cc by Quinn Anya Dombrowski ¦ Haare: cc by Jennanana

Entmut.

Meine Buddyliste ist so voll wie sonst was nie, und trotzdem kommuniziere ich mit niemanden. Und zu jeder Person, die da als Kontakt drauf steht, fällt mir ein Grund ein, wieso sie nicht mit mir reden sollte – oder wieso ich nicht mit ihr reden will. Vielleicht will ich auch einfach alleine sein, für einen kleinen Moment der Stille? Ich stelle mir eine Playlist mit melancholischen Liedern zusammen, schreibe eine Away-Message, die nur ich lustig finde und stelle Pidgin auf »Do not disturb«. Das gibt einem das Gefühl, nicht selbst Schuld an der Kommunikationslosigkeit zu sein.

Als die Musik im Radio plötzlich umschlug, drückte er die Kassette, die noch im Laufwerk stecke, wieder hinein. Sie leierte ein wenig, aber das war ihm egal. Das, was er da hörte, war ihr Mixtape, das sie ihm – oder ihnen, aufgenommen hatte. Es erzählte eine Geschichte, aber er konnte sich nicht mehr an sie erinnern. Zu sehr hatten sich die Erinnerungen an die Dinge, die während dem Hören dieses Mixtapes passiert waren, in sein Gedächniss eingebrannt. Zuweilen kam es vor, dass er ein Lied, das auf der Kassette war, einzeln hörte und danach die ersten Takte des nächsten erwartete.
Er musste sich auf die Straße konzentrieren, um nicht mit Weinen anzufangen. An jedem Baum, an jeder Viehweide, an jedem Wegkreuz, an jedem Haus, das er passierte, hafteten Erinnerungen an gemeinsame Zeiten, an diesen wunderbaren Sommer, der endlos geschienen hatte. Dies war ihr Land. Dieser Satz hallte in seinem Kopf als wäre er eine Kathedrale, in die jemand eben diesen Satz schreien würde. Er hatte etwas mythologisches. Es war nicht so, als ob ihr das Land gehören würde, – er konnte keinen anderen Gedanken als diesen mystischen verwenden, aber es stand unter ihrem Bann.
Rain on car cc by rachel a. rogers

Der Regen liess nach. Die Nacht began bereits heller zu werden. Er wagte nicht, auf die Uhr zu sehen, festzustellen, wie lange er wie ein Verrückter durch diese Einsamkeit gefahren war, wieviele Kilometer an erinnerungsträchtiger Strecke er zurückgelegt hatte. Seine Hände schmerzten, nicht von dem langen Fahren, sondern… psychosomatisch. Als Jugendlicher mit christlicher Erziehung hatte er sich in den Situationen, wo seine Händen wegen seelischen Qualen mit schmerzen anfingen, oft mit dem stigmatisierten Jesus verglichen. Heute tat es einfach nur noch weh, an gewisse Dinge erinnert zu werden.

Die Sterne wichen einem verwaschenen Dunkelblau, das von dem neuen Tag kund tat, der wohl genauso grau sein würde wie die Woche vor ihm. Ohne sie schien sowieso alles grau zu sein, selbst dieses Land, das sonst immer wie voller Wunder gewirkt hatte. Mit dem neuen Tag verliess ihm auf einmal der Mut. Der Plan, zu ihr zu fahren, bei Sonnenaufgang im goldenen Licht vor ihrer Tür zu stehen, ihr alles zu sagen, was er zu sagen hatte, erschien jetzt nur noch verrückt. Sie würde ihn abweisen, anschreien, und er würde sich halberforen wieder zurück ins Auto setzen und ohne Musik zurück fahren.

Eine einzelne Schneeflocke fiel auf seine Windschutzscheibe.

(Image cc by rachel a. rogers)

Hoffnung.

Regen tropft beständig auf mein Fenster. Ich habe ein Dachfenster, aber das habe ich sicherlich schon hundert Mal erwähnt. Ich höre immer und immer wieder »Von« von Sigur Rós‚ CD »Heim«. Es ist ein wunderbar ruhiges, melancholisches Lied. Ich erahne Landschaften, die ich noch nie gesehen habe.

Der leichte Regen störte seine Sicht nicht. Er mochte diese Landstraßen in der Nacht, er hätte ewig auf ihnen entlangfahren können. Und er hatte auch noch eine ganz schön weite Strecke vor sich. Die Musik, die das Radio spielte, entführte ihn in eine andere Wirklichkeit. Alles schien so real und gleichzeitig so künstlich, wie in einem hochauflösenden Film. Die Regentropfen. Er hatte noch nie so schöne Regentropfen gesehen. Ihr Trommeln schien mit der Musik zu harmonieren, ein Ganzes zu bilden. Trotzdem hatte er keine Mühe, sich auf die Straße zu konzentrieren. Am Rand tauchten hin und wieder Bäume auf, ansonsten war das Land leicht hügelig und die einzige Abwechslung von den Viehweiden waren die abgeernteten, stoppeligen Felder, die sich allenthalben abwechselten. Einmal ein einzelner Bauernhof, aber das war vor einer Viertelstunde gewesen, ansonsten keine Häuser.

Was hatte ihn dazu gebracht, mitten in der Nacht wie ein Irrer durch diese gottverlassene Gegend zu fahren?
Ein Mädchen natürlich. Sie. Der Regen trommelte weiter. Es gab hier keine Beleuchtung, die Straße und Umgebung war nur im fahlen Licht der Scheinwerfer zu sehen. Er hatte nicht schlafen können. Sein Körper hatte sich angefühlt wie auf Entzug. Noch immer spürte er die feinen kleinen Stiche auf dem Rücken, die er in solchen Situationen immer verspürte, seit seine Haut einmal nach dem Essen bei einem Italiener eine allergische Reaktion gezeigt hatte. Er hatte nie herausgefunden worauf er eigentlich allergisch war, denn der Arzt hatte ihm abgeraten, einen Test machen zu lassen.
cc by Ahmed Rabea

Seine Zigarette glimmte mit jedem Zug in der Dunkelheit auf. Er erinnerte sich daran, wie sie einmal ein Foto davon gemacht hatte. Das war letzten Sommer gewesen. Nur ein paar Monate her. Damals hatte die Welt ganz anders ausgesehen. Die Nächte waren längst nicht so dunkel, nass und kalt gewesen, sondern voller Blütenduft, Grillenzirpen und Poesie, erleuchtet von den Sternen. Er hatte das Foto noch irgendwo, wahrscheinlich bloß auf dem PC, denn er soweit er sich erinnern konnte, hatte er nur ihr ein Exemplar ausgedruckt. Man sah nicht viel auf dem Bild, nur das orangerote Glimmen seiner Zigarette und seine dunkle Silhouette, aber für sie war es die Erinnerung an eine dieser vielen Nächte gewesen, in denen sie durch diese gottverlassene Gegend gefahren waren, oft bis zum Morgengrauen, um sich gemeinsam den Sonnenaufgang anzusehen.

Er war hier nahe an der Grenze. Nicht nur geographisch, sondern auch in seinem Kopf. Eigentlich hatte er schon »ihr« Gebiet betreten, aber dennoch war die Landschaft hier so uniform, dass er nicht wirklich eine Erinnerung daran hatte, wann und wieso er schon mit ihr hier gewesen war. Er fuhr auch manchmal absichtlich Umwege, um dem Unausweichlichen noch ein wenig zu entgehen. Bald würde er so nahe bei ihr sein, dass die Erinnerungen sich nicht mehr verdrängen lassen würden.
Mit einer schnellen Handbewegung schmiss er die noch glühende Zigarette aus dem Fenster. Während dieses kurzes Augenblicks kam spürte er die Kälte dieser nassen Novembernacht, wie sie nur der Wetter in dieser Gegend hervorbringen konnte. Die Nadelstiche auf seiner Haut wurden deutlicher, als er erkannte, dass er gerade an einer Baumgruppe vorbeigefahren war, die den Eingang zu »ihrem Land« markierte.
Sein Atmen ging für einen Moment schneller, dann beruhigte er sich, stellte das Radio lauter, atmete tief ein und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

Für einen Moment war sein Herz voller Hoffnung.

(Image cc by Ahmed Rabea)