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Wanderungen

Das einstige Belgien. Eine abgebrannte Steppe, Ödnis, deren Untergrund sich nicht definieren lässt. Die Bodenkunde hat keinen Buchstaben, um die Horizonte, aus denen sie besteht, zu beschreiben. Vielleicht, weil es in diesem abgebrannten Land keine Menschen mehr gibt, die sich gut genug mit Bodenkunde auskennen. Ohne Vegetation erreicht der Wind ungeahnte Spitzen. Er ist, wie das Meer, von dem er kommt, giftig.

Eine einsame Figur kämpft sich durch diese Wüste, einst ein stolzes Königreich. Sie trägt eine dicke Gasmaske, das Sichtfenster schwarz verspiegelt. Die Schutzkleidung, wovor auch immer sie schützt, ist ganz in schwarz gehalten. Genau wie der wehende Stoffumhang, der nicht so recht zu dem sterilen Rest passen will.

Es ist der Baron von Luxemburg.
Er hat unglaubliche Lust auf eine Zigarette. Und in dieser lebensfeindlichen Umgebung wäre der Tabakrauch wohl gesünder als die Atemluft. Seine Wanderung durch diese wahrhaft postapokalyptische Landschaft sieht von außen aus wie reiner Wahnsinn, zumindest aber ist sie lebensgefährlich. Seine Gedanken sind hell wie tausend Atombombenexplosionen. Er allein weiß, wohin er muss und was er dort zu tun hat. Er trägt keine Krone, der Umhang muss genügen, um seine Noblesse auszudrücken.

Das einzige Lebewesen, das ohne technische Hilfe in diesem Landstrich noch neben kann, ist der Shai Hulud, der gemeine Sandwurm. Die Tiere sind nicht gefährlich, aber unglaublich robust. Eine ungeübte Wandererin kann sich leicht durch den Anblick der meterlangen Chaetognatha aus der Fassung bringen lassen. Der Baron ist nicht ungeübt. Nicht mehr. Niemand, der die belgische Wüste durchquert hat, ist ungeübt.

Domein Raversijde steht auf einem Schild, das nur wenige Zentimeter aus der Asche rausragt. Die Schrift ist nur schwer zu erkennen. Aber dies ist die Gewissheit, die er brauchte. Dies war die Stelle. Der ehemalige „internationale“ Flughafen liegt hier ganz in der Nähe. Wahrscheinlich wird er hier finden, was er braucht.

Drei Tränen laufen dem Baron über die Wange. Kurz durchzuckt ihn die Angst, der Filter der Gasmaske könnte beschädigt oder voll sein. Erleichtert bemerkt er, dass er weint.
Von dem blutroten Meer trennt ihn nur eine hohe Düne.

photo: U.S. Office of War Information

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Kriegsschiff auf rauer See
„Das also ist mein Leben.“, denke ich, „rauchend süßen Kaffee mit viel zu viel Milch zu trinken“. In meinem Kopf rennen Landschaften vor meinem inneren Auge davon. „Will ich mich verlieben? Will ich ein Mann sein? Eine Frau? Was heißt das? Wo ist Ruth in dem Ganzen? Schmeck‘s Krapferl!“ Wie sollte ein Zeppelin in diesen Stürmen Kurs halten können? Wie sollte ich wissen, dass die See über dem hypertheoretischen Dänemark so rau-h ist?

Ich sollte mehr Texte über das Leben in Wien schreiben.

Ein Güterzug fährt durch. Wenn ich geradeaus blicke, flasht mich der Anblick der bunt bedruckten Container total. Werden Container bedruckt? Ich versuche über diese Frage nachzudenken, muss unwillkürlich einen Schritt zurück gehen, merke dabei nicht, dass ich schon gegen dem Betonblock, der glücklicherweise im Weg steht und meinem Rücken ergonomischen Halt bietet, laufe, weil mich der Anblick so in seinen Bann zieht, dass mir schwindlig wird. Wenn ich meinen Blick etwas abwende und schräg auf den schnell fahrenden Zug schaue, kann ich die Werbeaufdrucke lesen und dieses fiese flüssigkeitsgefüllte Organ in meinem Innenohr sendet keine verwirrenden Signale an mein sowieso schon verwirrtes Gehirn. Vestibularapparat. Allein das Wort schon. Vestibularapparat. Ist es überhaupt ein richtiger Apparat?
Gegen den Betonblock gepresst blicke ich wieder nach vorne und lasse den brachialen Eindruck auf mich einwirken. In diesem Moment scheint es das visuelle Äquivalent zu „Vom Zug überfahren werden“ zu sein. (Das stimmt nicht. Der Gedanke ist mir jetzt, beim Schreiben gekommen. Aber was heißt denn „in diesem Moment?„, frage ich euch, durch die vierte Wand hindurch!)

Ich suche auf Amateurvideopornoseiten nach bekannten Gesichtern. Ungute Vorahnungen, im Nachhinein betrachtet. Als hätten verwackelte Handyvideos irgendetwas mit der Realität zu tun. Die Realität ist, wie wir alle wissen, völlig haarlos, schönheitsoperiert, mit glänzendem Öl gefettet und von der ersten Berührung an laut stöhnend in HD gefilmt. (Zu viel Porno? Fickt euch, hahaha!) Ich kann nichts dafür, aber es ist meine Schuld.

Zeppelin über Bergen

Das Zeppelin droht, abzustürzen. Zum Glück ist das Steuer kein Rad, sondern eine goldene Schreibmaschine mit tausend goldenen Hebeln. Ich sitze – nicht unbedingt vor Fachkenntnis strotzend – vor dieser Apparatur, aber der Quecksilberstreif am Horizont leuchtet schon golden in einer sich öffnenden Wolkengasse.

Mit einem Male stehe ich wieder am Strand des Meeres der Verzweiflung. Ein trauriger, unheimlicher Ort, den ich nicht selbst erfunden habe und dessen Existenz ich beinahe vergessen hätte. Ein zufällig gelesener Kommentar bringt mich darauf, dass eine geheime Botschaft hinter diesen Filmen stecken könnte, die mich wieder einmal völlig flashen. Ich könnte auch sagen, sie hätte mein Gehirn total gefickt, aber ich schreibe ja zu viel über Sex, wenn ich mich auf die Meinung derjenigen, die es sich trauen, das auszusprechen, vertrauen kann. Die schweigende Mehrheit sagt selbstverständlich naturgemäß nie etwas dazu.
Rotes Meerwasser umspielt meine Knöchel. Ein guter Pirat … Ich versuche, all diese schrecklichen Gedanken mit „Blub“ zu vertreiben. Manchmal schreibe ich auch „BLUB“ auf meinen Notizblock oder sonstiges Papier, wenn ich nicht laut reden kann oder will. Oft funktioniert das. Fragt sich nur, ob die Luftblasen, die ich dazu denke, über die Oberfläche steigen oder ob die Gedanken nur sinken wie leckgeschlagene Erdöltransporter und am Grund verbleiben wie Seeminen, aus denen man später Möbeln bauen wird, falls sie entgegen aller Erwartungen nicht detonieren und mich – zumindest metaphorisch – in Stücke reißen. Oder hässliche Flecken auf Textilien hinterlassen.

Der Baron von Luxemburg

Der Baron von Luxemburg

Vor der Bim-Haltestelle stehen Betrunkene mit fettigen Haaren, singen zuerst, reden dann über Zeitalter, sie das dritte Bier wegen dem dritten Jahrtausend, in dem wir uns befinden, er schon das Zwölfte. Die Zukunft hat schon begonnen. Unnötig zu sagen, dass sie beide betrunken sind, aber wie auf anderen Drogen wirken, oder zumindest wirkt das, was sie sagen, so. Nach dem kurzen Ausflug in die komplizierte Geometrie der vierten Dimension geht das Gespräch über historische Figuren. Ich kann meinen eigenen Gedanken derweil nicht folgen und erzähle wie automatisch von Ruth, die anscheinend mal wieder in der Stadt ist. Iwan der Schreckliche war kein Gläubiger, war Atheist. Ein Perverser war er! Hat dem Groszkni mit dem Florett den Damm aufgeschnitten. „Einmal ließ er einen Fürsten in ein Bärenfell einnähen und auf das Eis bringen. Als seine großen Hunde den vermeintlichen Bären in Stücke rissen, belustigte der Zar sich so sehr, dass er vor Freude nicht wusste, auf welchem Bein er stehen sollte!“ Katherina die Große war da ganz anders, die war gottesfürchtig und steht heute noch im Ruf, sexbesessen und machtgierig gewesen zu sein. Sie lallen, aber ich, ich will auf die Bank springen, mit wehendem Umhang, will schreien:“ICH BIN DER BARON VON LUXEMBURG! ICH WOHNE DORT OBEN AUF DEM BERG UND SPIELE MERKWÜRDIGE SPIELE MIT PENDELN! SUPERDOPE! NIEMAND SOLL MICH DARAN HINDERN ZU SCHREIBEN, DENN FÜRWAHR ICH BIN DER ADELIGE, DEN MAN DEN BARON VON LUXEMBURG NENNT!
Ruth würde darüber nur lachen. Mein Basilikum ist verdorrt. Und mein neuer Freund, Persea gratissima, voll mit hoch-giftigem Persin, versucht mir zu entwachsen. Das an meinem Daumen scheint nur Farbe zu sein.

Ich überlege schon länger, mir Tee zu kochen. Beschließe immer wieder, es zu tun, vergesse es aber dann direkt wieder. Wenn es mir wieder einfällt, muss ich aufs Klo und vergesse es auf dem Rückweg wieder. Ein Teufelskreis, den zu durchbrechen ich nicht die Kraft habe.

Gänsehaut an meinen Knöcheln. Ich zittere, das rote Wasser ist kalt. Die Zigarette (obwohl ich ja überhaupt nicht rauche!) verformt sich zwischen meinen Fingern. Ruth. Ich spüre ihre Anwesenheit, ich weiß instinktiv, dass sie mein Revier betreten hat. Nur zu gerne würde ich mit ihr treffen und sie zum Duell auf Leben und blaue Flecken mit diesen Versandrollen, in denen man Poster verschickt, auffordern. Aber eigentlich bin ich nicht wegen ihr nervös. „Eigentlich“, sage ich mir, „sollte ich überhaupt nicht nervös sein! Ich sollte aufrecht, mutig und voller Tatendrang sein, ein kraftvoller Bursche in seinen besten Jahren!“.

Mein Bett ist groß und leer. Aber immerhin bequem.

Durch mein Hirn kriechen garstige Insekten aus dem Weltraum, in sauerstoffangereichterter Umgebung hochgezüchtet auf unglaubliche Größen. Ersticken können sie, dank Tracheenatmung, nur schwerlich. Ich suche verzweifelt nach einer Tube Bauschaum. Ich müsste mir einen extra langen, dünnen Aufsatz bauen, den ich in meine Nase, denn durch das Ohr geht es wegen übermäßiger Liebe zu meinem Trommelfell nicht, schieben könnte und mit dem ich den Viechern dann Baumschaum in ihre Atemorgane spritzen könnte, so dass sie ersticken und mich nicht länger belästigen würden!

Schiff im Sturm

Zum Abschluss spielt Mozarts Requiem (KV 626). Das große Finale findet nicht statt.

Analsex mit fremden Menschen

Wir sitzen im Hörsaal und warten darauf, dass die Vorlesung beginnt. Unsere Gedanken drehen sich derweil nicht um Umweltrecht, sondern um Analsex mit fremden Menschen.

Ich laufe durch den großen Park und rieche den Kuchenbaum, der seinen betörenden Duft ausströmt, der Baum, der einst Ina und Zoë betörte, und ich frage mich, wieso ich ihn immer nur rieche, wenn ich alleine bin, ob er mich erkennt und weiß, wie ich ihn schätze, gar heilige. Ich hetze, um Tseh zu erreichen, denn ich weiß, oder glaube zumindest, nur ich kann ihr helfen. Hat sie nur mich? Ich komme mir vor wie ein mythischer Krieger mit einem heiligen Schwert, ein Bote von Entropia, höheres Wesen des Chaos, gekommen um die Dunkelheit aus den Herzen zu vertreiben.
Entweder hat Spieltheorie eine berauschende Wirkung auf mich, oder ich bin einfach schon so voll von Sorge, dass auch ich durchdrehe.

Ich brauche jemanden zum Reden, denke ich, als ich in letzter Sekunde die S-Bahn erreiche, die mich um den äußeren Kreis der Stadt, vorbei an Straßen großer Traurigkeit, nach Hause bringt, wo Fi mit Tee und Geduld wartet. Im Zug nur Menschen, die aussehen wie Menschen, die aussehen wie Menschen, die ich kenne. Fast will ich sie ansprechen, die eine Frau.
„Sind Sie nicht Frau Prof. …“ –“Na, san se deppat?“
Die Antwort, die an den Innenseiten meines Schädels widerhallt, schreckt mich ab.
„Sechs schaff ich fix bis Mittag!“
Er meint leider Zigaretten, nicht Orgasmen. Interessante Gespräche finden nicht auf dieser Strecke statt. Ich überlege, wo ich aussteige, entscheide mich dann für den bekannteren Weg. Ihre weißen Schuhe irritieren mich. Die Botschaft des Barons von Luxemburg, der flötend „Ech sinn de groussen Hexemeeschter“ singt. Man sieht sie nicht, weil der Zug durch einen langweiligen Tunnel fährt. SUPER-DOPE! Wirre Wortfetzen wabbern aus wirren Menschen in wirre Wollmützenohren.

Ich verkündige lauthals, ich habe Geburtstag, zur Feier des Tages.
Es ist der letzte Tag ohne Nebel, zur Feier des Tages.
Wir zünden eine Kerze an, die der Wind gleich aus bläst, zur Feier des Tages.
Retten wir den Urwald, saufen wir uns zu Tode, zur Feier des Tages!

Hat das alles irgendetwas gebracht? Bringt überhaupt irgendetwas, was wir hier veranstalten, etwas? Ich bin unsicher ob meines Wirkens sowie meiner Wirkung. War ich nicht einst auch einer von den großen Kriegern, die da zum Angriff geblasen haben? Ich sehe mich alleine unter dem Pendel stehen, einziger Fixpunkt einer unsteten Welt, ordnendes Element der Entropie. Ich sehe mich niederknien.
Hat das einen Sinn? Hatte das einen Sinn? Ich versuche mich nicht daran zu erinnern.

Einzug

Umzug heißt auch immer Einziehen.
Ein großer, leerer Raum, nur gefüllt mit Kisten und Tüten, in denen deine wenigen Halbseligkeiten stecken. Dazu ein paar Möbel, die du in mühevoller Klein- und Überzeugungsarbeit an dich gerissen hast. Noch steht da das alte, ungemütliche Bett, noch steht alles Kreuz und Quer, als sei dieser neue Raum ein Lager und kein Zimmer.

Auftritt: der Baron von LuxemburgAuftritt: der Baron von Luxemburg (3. v. l.)

Erschöpft baust du den Computer zusammen, checkst deine Emails, twitter, facebook, Nachrichten. Nichts bedeutendes.
Nichts bedeutendes bedeutet auch: Keine schlechten Nachrichten. k. geht es gut, das war wichtig, zu wissen.
Die erste Nacht in der neuen Wohnung ist wichtig. Besser gesagt: die Träume in der ersten Nacht sind wichtig. Du bewegst dich mit den Worten von Max Frisch zum Schlafen. Ärgerst dich, bevor dir die Augen zufallen, ein wenig über die Misogynie in Homo faber.

Schnitt. An deine Träume kannst du dich nicht mehr erinnern. Du bist dir jedoch sicher, dass du welche gehabt hast. Nicht, weil du weißt, dass „man immer träumt, sich nur nicht immer daran erinnert“, sondern weil du weißt, dass du dich daran erinnert hast, für einen kurzen Moment. Wahrscheinlich vergisst du viel zu oft, die Träume kurz nach dem Aufwachen zu fixieren, wie bei der Entwicklung von Fotos. Geschäftig scheinen sie dir gewesen zu sein. Wahrscheinlich kann das wieder alles oder nichts heißen. Gerne würdest du mal träumen, du würdest träumen.

Schnitt. Ein Ausflug an das Ende von Wien, irgendwo in der Pampa ein Lattenrost und eine Matratze kaufen. Das läuft alles viel zu glatt, so dass ihr entscheidet, auch noch mindestens eine Badematte und Bettwäsche zu kaufen. Sogar die Zahlung mit Karte funktioniert, obwohl der Kreditrahmen eigentlich längst gesprengt sein sollte. Das grün der Karte steht wohl doch nicht für „jugendlich“, sondern für „Smaragd“. Als könntest du die Karte ziehen, laut mit einem übertriebenem groß-kaiserlich-pikiertem-österreichischen Akzent „ICH BIN DER BARON VON LUXEMBURG“ rufen und all deine Probleme lösten sich in Luft auf!
(Akzeptieren wir für einen kleinen Moment, dass es für Außenstehende zumindest manchmal so aussehen muss. Obwohl das leben weitaus komplizierter ist. So gibt es zum Beispiel überhaupt keinen Baron von …)

Schnitt. Ein riesiger Topf Kürbisrisotto. Viel zu viel für drei Personen, sogar für die vier, die schlussendlich davon essen. Letzten Endes isst man nur noch, weil es gut schmeckt, obwohl man eigentlich überhaupt keinen Hunger mehr hat. Gemütliches Zusammensitzen. Der Raum ist so weit eingerichtet. Es hängen sogar einige dekorative Elemente an der Wand. Du freust dich. Die Schränke in der Küche sind voll mit Tee.

Aus dem leeren Raum ist ein Zimmer geworden. Mit Balkon. Will noch jemand etwas Risotto?