Eigentlich wollte ich nach so langer Abwesenheit etwas Schönes bloggen. Oder einen gigantischen Rundumschlag über all das, was mir in dem letzten Monat im Internet so begegnet ist. Ich hätte auch lustige Examensanekdoten erzählen können. Dann habe ich gestern früh das Tageblatt aufgeschlagen und diesen Leitartikel von Roger Infalt mit dem seltsamen Titel „Wie illegal ist legal?“ gelesen. Ich wollte eigentlich sofort darauf antworten, konnte mich aber den ganzen Tag davon abhalten. Und heute kribbelt es mir noch immer in den Fingern. Da müssen wir jetzt wohl alle durch.
Werter Herr Infalt,
Ich habe mir gerade eine Kopie ihres Artikels mit ihrem Foto heruntergeladen. Das klingt vielleicht jetzt schockierend und äußerst kriminell, aber das tut jeder, der die Webseite des Tageblatts besucht und ihren Leitartikel anklickt. Denn so funktioniert das Internet.
Das Internet, werter Herr Infalt, ist eine gigantische Kopiermaschine. Alles, was sie auf ihrem Computerbildschirm „im Internet“ sehen, ist in Wahrheit eine Kopie, die ihr Browser zur Anzeige auf ihren PC heruntergeladen hat. Das Internet kann also gar nicht anders, als kopieren. Deshalb ist es auch falsch, vom „privatem Eigentum anderer Leute“ zu reden, wenn man von runterladen spricht. Ihr Leitartikel ist nämlich, obwohl mittlerweile sicherlich schon von Hunderten heruntergeladen, immer noch auf dem Server der Tageblatt-Webseite. Sie sind, obwohl hunderte von perfekten Kopien angefertigt wurden, nicht um einen Buchstaben ärmer geworden.
Bitte versuchen Sie, das zu verstehen. Vielleicht hilft es auch, sich den folgenden Satz einmal laut vor zu lesen:
„Das Internet ist eine gigantische Kopiermaschine.“
Als die Schrift eingeführt wurde, haben sich die griechischen Philosophen beschwert, das wäre der Verfall aller Kultur, jetzt müsste niemand mehr auswendig lernen, sondern könne alles immer nachlesen. Als die Druckerpresse eingeführt wurde, wurde ebenfalls behauptet, jetzt könnte jeder jede Schmiererei unters Volk bringen. Mit der Erfindung von Tonträgern wurde befürchtet, kein Mensch würde mehr Konzerte besuchen. Vielleicht erinnern Sie, werter Herr Infalt, sich auch noch an die Einführung der Musikkassette, welche damals ebenfalls zum tödlichen Instrument für die Musikindustrie stilisiert wurde. Das gleiche geschah mit der Videokassette. Und was geschah?
Nacheinander entstanden Bibliotheken, in denen Wissen gesammelt wurde, Pressegesetze, die die Verteilung von Schmierereien regulierten und das Recht auf Privatkopie wurde eingeführt. Die Gesetzeslage wurde also an die technischen Neuerungen angepasst. Und hier kommt der Punkt, wo sie wie ein ewig Gestriger, einer jener Kulturpessimisten, die ich eben aufgezählt habe, klingen. Ich kann das bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Ihr Geschäft ist der Verkauf von toten Bäumen, auf dem ihre Geschichten gedruckt sind. Nun muss aber niemand mehr das Papier kaufen, sondern kann ihre Artikel bequem im Internet lesen – und anscheinend auch unter falschen Namen. (Gibt es eigentlich Beispiele hierfür?) Sie müssen sich also mit dem Argument, dass das Recyclingpapier, auf dem ihre Geschichten gedruckt sind, fast genau umweltfreundlich wie das Internet sei, gegen Dinge wie die „Dageszeitung“ von RTL.lu wehren. Das klang für mich schon ziemlich verzweifelt, immerhin gehen andere Medien in anderen Ländern noch so weit und behaupten, die Geschichten auf den toten Bäumen hätten eine größere Qualität als das, was da im Internet stünde.
Und woher kommen eigentlich ihre Artikel? Die Geschichte mit dem Jungen, der im Supermarkt einen Apfel klaut, haben Sie die selbst erlebt? Hat sie ihnen jemand erzählt? Vielleicht sollte man sich besonders als Journalist bewusst sein, dass man immer auf den Schultern von Giganten steht und auf tausende Jahre Kulturgeschichte aufbaut. Nothing is original, wie Jim Jarmusch einst so schön sagte.
Nein, werter Herr Infalt, unsere Gesellschaft muss nicht „im Kampf gegen diesen großen Klau sehr schnell Strategien entwickeln“, sondern die Rechtslage muss sich der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung anpassen. Es gibt auch schon Ansätze.
Zum Beispiel Creative Commons. Künstlerinnen und Autoren können ihre Werke unter eine spezielle Lizenz stellen, unter der ihre Werke verbreitet werden dürfen, ihre Name aber immer genannt werden muss und wahlweise Bearbeitung und kommerzielle Nutzung erlaubt oder verboten werden kann.
Dann gibt es schon etwas länger die Idee der Kulturflatrate. Man bezahlt, genau wie bei CD-Rohlingen, Kopiermaschinen, leeren Blättern und sonstigen Leermedien eine Gebühr auf seinen (Breitband-)Internetzugang. Dieses Geld wird dann unter den Künstlern und Autorinnen verteilt und File-Sharing und die Privatkopie von Musik, Filmen, etc. wird legalisiert. Sogar die sonst so internetferne SPD prüft momentan die Möglichkeit der Einführung einer Kulturflatrate. Auf Politikercheck.lu haben sich mehere luxemburgische Politiker positiv zu der Idee geäußert. Weitere Informationen zu dem Thema finden Sie, werter Herr Infalt, in diesem zweistündigen Podcast der Seite Netzpolitik.org.
Bliebe vielleicht noch zu erwähnen, dass es durchaus viele Menschen gibt, die ihr „geistiges Eigentum“ gerne teilen und es deswegen für die freie Verwendung ins Internet stellen, sei es unter einer CC-Lizenz, sei es sofort in das sogenannte „public domain“. Die Wikipedia ist sicherlich ein gutes Beispiel hierfür – ihre Zeitung zitiert ja auch oft und gerne daraus. So ist zum Beispiel das Bild, das diesen Artikel ziert, unter einer Creative Commons-Lizenz und darf von mir benutzt werden, solange ich den Fotografen, Michael Pereckas, als Urheber des Fotos nenne. Und es gibt Seiten und Dienste, bei denen man bezahlen muss und dann ganz legal Musik oder Filme runterladen darf. Den Begriff „iTunes Music Store“ dürften sie sicherlich schon einmal gehört haben. Nicht jeder Download ist also ein Verstoß gegen das Urheberrecht. Eigentlich sind es die wenigsten, denn wie schon gesagt, jede Seite, die wir besuchen, jedes Bild, das wir uns ansehen, landet als perfekte Kopie auf unserem Rechner. Das Internet ist eine gigantische Kopiermaschine.
Ein letztes noch, werter Herr Infalt: Ich finde ihren Artikel nur auf der Seite von Tageblatt. Ansonsten ist er nicht auffindbar. Ihre Prophezeiung hat sich also nicht bewahrheitet. Vielleicht, weil sie in ihrer Panik über das „neue“ Medium Internet ein wenig übertrieben haben. Vielleicht war ihr Leitartikel aber auch einfach niemanden die Mühe wert, ihn zu kopieren und unter falschem Namen weiterzuverbreiten.
(Photo cc by Michael Pereckas)