Ich stehe am Klo der ÖH-Bundesvertretung, es ist der letzte Tag des letztens Produktionswochenendes. Trotz der Erschöpfung finde ich, dass ich irgendwie gut aussehe. Oder habe das Gefühl, dass ich mich in diesem Zustand der müden Melancholie dokumentieren will. Ich mache also Fotos. Vielleicht kann ich ja eins der Selfies später auf Instagram stellen.
Die letzten beiden Jahre beim progress war ich eigentlich in der Online-Redaktion. Ich hatte nach zwei Jahren Printmagazin nicht mehr so wirklich Lust auf den Produktionsstress, der vor allem mit der Aufopferung nicht weniger Wochenenden einherging. Das hat im Endeffekt nicht so hingehauen, wie ich es mir vorgestellt habe, was aber vor allem an der „Personalpolitik“ der ÖH lag (darauf komme ich in meinem vierten und letzten Beitrag über meine Zeit beim progress nochmal zu sprechen). Auf jeden Fall: Ich war auch für die Vermarktung auf social media verantwortlich. Social media heißt beim progress vor allem: Facebook und Twitter. Gerne würde ich behaupten, ich könnte hier Weisheiten teilen, aber ich habe das Gefühl, immer noch genauso ratlos zu sein wie am Anfang.
Wahrscheinlich war das vor allem jugendliche Selbstüberschätzung, aber irgendwann Mitte der 2000er hatte ich das Gefühl, „das Internet“ verstanden zu haben und zu wissen, wie diese Dinge funktionieren. Es folgte die Welle des „Mainstreams“ ins Internet (und vor allem nach Facebook) und dann waren die Dinge auf einmal ganz anders, Clickbait und „lustige“ Sprüche (als jpgs! Text als Bild!) regierten. Gegen letzteres wehrte ich mich sehr lange, weil das ein No-Go ist. Hatte ich damalsTM so gelernt. Mit Facebook (der Plattform) kannst du halt nicht diskutieren, auch wenn die Argumente (z.B. Barrierefreiheit) noch so gut wären.
Das progress ist nicht die Neon oder die Vice und will (und kann) das auch nicht sein. Auch wenn die stilistische und inhaltliche Bandbreite enorm groß war, die Clickbait-Artikel über Sex und Drogen gab es eher nicht. Wir (oder meistens: ich) begnügten uns also damit, knackige Teaser zu schreiben und mit unseren Inhalten zu punkten. Spannenderweise war es oft der Bildungsbereich, der viele Shares/Likes erhielt, obwohl die Autor_innen sich für das Ressort eher zierten. Irgendwie auch logisch, dass das Zielpublikum eines Studierendenmagazins sich für Hochschulthemen interessiert – besonders dann, wenn es „Aufreger“ wie „Warum haben Arbeitsaufwand und ECTS eigentlich selten was miteinander zu tun?“ geht. Die Drogen-Wochen, bei denen wir uns mit vielfältigen Aspekten des Themas, vor allem angesichts der zunehmenden Repression gegen (meist schwarze) Dealer_innen an der Wiener U6 auseinandergesetzt haben, liefen hingegen nur so mittel. Vielleicht zieht das Thema nur dann, wenn auch die Redakteur_innen dies tun.
À propos Redakteur_innen: Selfies der Redaktion am Dach des Büros liefen meistens ziemlich gut – das kann aber auch einfach der Effekt sein, dass mit getaggten Menschen halt einfach der ganze Freundes- und Familienkreis das Bild in der Timeline hat und auch die nicht-progress-lesende Oma das Foto liked (Disclaimer: Eine meiner Omas hat Facebook, ich hab aber jetzt nicht nachgesehen, ob sie das Foto geliked hat). Also doch mehr Selbstdarstellung? Ich bin der Überzeugung, dass ein guter Text auch dann überzeugen kann, wenn der_die Autor_in nicht im Rampenlicht steht oder gar ein Pseudonym ist – und ich denke, dass es wichtig ist, die Möglichkeit zum anonymen/pseudonymen Veröffentlichen zu geben, gerade bei Themen wie Antifaschismus. Anderseits haben viele freie Journalist_innen gar keine andere Wahl, als sich (und zu einem gewissen Teil auch ihre Texte) selbst zu vermarkten – wer sich eine treue Fanbasis aufgebaut hat, kann neben vielen Likes für Selfies auf Instagram vielleicht sogar darauf hoffen, dass die eigenen Texte gelesen werden.
Der Artikel, der wohl die meisten Klicks und Shares hatte, war – und ich liebe diesen Fakt von ganzem Herzen – eine Kinderbuchrezension. Die hatte den Titel „Zwei mal ‚Wo kommen Kinder her?‘, ohne heteronormative Kackscheiße“ und widmete sich zwei Kinderbüchern, die auf queere Eltern eingehen. Eigentlich – bis auf den etwas provokanten Titel – eine unspektakuläre Sache. Zumindest so lange, bis die FPÖ-nahe rechtsextreme Webseite „unzensuriert.at“ drauf kam und einen Artikel über die Rezension schrieb und damit natürlich einen rechten Mob auf unsere Seite brachte. So einen Shitstorm lässt sich weder steuern, noch wirklich heraufbeschwören – dass es eine derartige Provokation sein könnte, ein Kinderbuch zu rezensieren, in dem ein Vater schwanger wird (Männer mit Uterus sind jetzt nicht sooo die Seltenheit), hätte ich mir auf jeden Fall nicht gedacht. Einen Teil des Shitstorms haben wir hier dokumentiert.
Es gibt auch die Möglichkeit, Facebook Geld in den Rachen zu werfen und Posts hervorheben zu lassen. Das haben wir nicht sonderlich oft gemacht und lief stets in Zusammenarbeit mit dem Öffentlichkeitsreferat der ÖH-Bundesvertretung. Wir haben die Artikel meistens ziemlich genau ausgewählt und haben wohl auch deswegen (für unsere Verhältnisse) hohe View-Zahlen erreicht.
Riesige Unterschiede zwischen Facebook und twitter habe ich nicht feststellen können, obwohl ich das Gefühl habe, dass Texte (bzw. die Links dorthin) grundsätzlich andere bubbles erreichen: Auf Facebook halt die österreichischen Studierenden, auf twitter die deutschsprachige linke Bubble. Ob Tweets retweetet werden, hängt dann viel mehr am Thema des Artikels als an einer Bindung an das Medium. Gefühlt ist es auf twitter weniger „schlimm“, Artikel öfters zu bewerben oder auch mal nach Hinweisen für einen Artikel zu fragen, während Facebook alles, was nicht innerhalb der ersten paar Stunden viele Likes bringt, untergehen lässt.
Social Media ist – wenn es gut gemacht werden soll – enorm aufwändig, vor allem wenn dann noch Community-Management dazu kommt. Mit ein Grund, warum wir beim progress nicht mehr Netzwerke bespielt haben. Ich bedauere ein wenig, dass wir nicht auch einen Instagram-Kanal mit Inhalt gefüllt haben, wobei die Story-Funktion (die in meinen Augen für Medien am sinnvollsten ist) ja auch noch nicht so lange existiert. Ich würde auch davon abraten, die Plattformen als reine Vermarktungskanäle zu sehen – die Grenzen verschwimmen immer mehr, gerade auch weil der Aufwand, beispielsweise einen Livestream einzurichten, z.B. mit Facebook enorm gesunken ist. Die Gefahr ist natürlich (wie so oft), dass die Netzwerke den eigenen Account abdrehen können (weil auf Fotos irgendwer zu viel Haut zeigt, weil die Seite massenhaft gemeldet wurde oder einfach „aus Versehen“) und damit dann auch die Berichterstattung verschwindet. Ich weiß aber nicht, was die Konsequenz daraus ist – es gibt wohl kein Medium mehr, das es sich leisten kann, nicht auf den großen sozialen Netzwerken (bzw. vor allem Facebook) präsent zu sein. Auch nicht das Internet, das ich Mitte der 2000er Jahre kennengelernt habe.
Es gibt kein Fazit. Dinge ausprobieren, Zeit investieren, versuchen lustig und auffällig zu sein. Und so sehr es auch schmerzt: Text als Bilder. Aber da hätte ich auch noch nicht wirklich damit gerechnet, mal einen Text aus einem Zug heraus zu bloggen und das nicht über ein Handy, sondern über das Zug-WLAN zu machen. Glaube ich zumindest.
Die Bebilderung ist natürlich superironisch.