Als ich ans Wasser denken musste.

Ich bin zu lange aufgeblieben, ich bin zu spät aufgestanden, ich will einige Wolken vom Himmel pflücken und auf ihnen schlafen. Warum ist die Welt, wenn sie nicht mein Kissen sein soll?
WeiterlesenAls ich ans Wasser denken musste.
Ich bin zu lange aufgeblieben, ich bin zu spät aufgestanden, ich will einige Wolken vom Himmel pflücken und auf ihnen schlafen. Warum ist die Welt, wenn sie nicht mein Kissen sein soll?
WeiterlesenAls ich an den See denken musste.
Ausgerechnet ein Pfirsich.
Ich denke das nicht laut, aber das macht für die Person, die ich einst Ruth nannte, ja keinen Unterschied. Sie hört alles, was ich denke, sie kennt mich in- und auswendig, ich kann mich vor ihr nicht verstecken. Vielleicht will ich das auch nicht.
Ich öffne die Balkontür, eine Grille zirpt mir entgegen und ich fürchte, in der Melancholie, die sich in mir anbahnt, ertrinken zu müssen. Ich muss an die Sommerstimmung Ende Oktober denken als ich in Gersthof auf die Straßenbahn wartete, an den düsteren November, in dem nicht einmal mehr Tee half, an die Hoffnungsschimmer, an die ich mich den ganzen Winter hindurch geklammert habe wie an unsichtbare Strohhalme. Die Ereignisse, Schweißnähte in der Erinnerung, jähren sich, ich hake sie in meinem geistigen Kalender ab. Zum Glück ist das Fensterbrett ein anderes, zum Glück steht ein Avocadobäumchen drauf, zum Glück ist der Winter, vor dem ich mich einst so fürchtete, längst vorbei.
Ich fuhr über den See, ganz alleine. Nur ich und mein Notizbuch. Über dem grauen See grauer Nebel, über dem grauen Nebel graue Wolken, aus den grauen Wolken grauer Nieselregen. Die Fähre als Eisbrecher, meine ewig kribbelnden Hände als Müller-Geigerzähler und in meinem Kopf nur die Gewissheit, dass dies keine Flucht war. Und ich schaffte es, ohne eine einzige Träne. Ich ließ mich am Ufer nieder, schlief unter den Sternen und wünschte mir, als ich eine Sternschnuppe sah einen so naiven Wunsch, dass er in Erfüllung gehen muss.
Auf dem Balkon, zu meiner Überraschung, keine Melancholie. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll, dass ich mich ein Stück weniger zu Hause fühle als noch vor einem Monat. Eine Grille zirpt ohrenbetäubend, es klingt wie weißes Rauschen, betäubend, fast schon still in seiner Lautstärke. Alles hat sich geändert und dennoch ist alles gleich geblieben. Der Sommer steht in seiner schwebenden Schwere als Wärme in der Nacht vor dem Balkon und flüstert verheißungsvoll. Ich frage mich, ob ich mich an Schwarzweißfotos erinnern werde, ob ich mir Gerüche merken werde. Ob ich das Meer sehen werde. Ich weiß es nicht. Manchmal ist das vielleicht das Beste.
photo cc by Luca Lorenzi
photo cc by Jamison Young
Olivette klopfte leise gegen die Wände des Ungeheuers, das sie verschlungen hatte. Dumpf und hohl klang das stählerne Skelett.
Das U-Boot im Hypolimnion. Sie war müde. Es war dunkel, doch die Bilder vor ihrem inneren Auge waren taghell. Hellbraune Strudel in der Teetasse, während sich im Hintergrund mehrere Dimensionen der Raumzeit zu einer komplizierten Origamifigur zusammenfalteten.
Eben noch rot glühende Visionen von wildem Sex unter der Frühlingssonne, jetzt auf dem Grund des Sees.
Das einzige Geräusch das Trommeln des Detritus auf der Oberfläche des Bootes, zugleich Dach und Horizont, Trennwand und Lautsprechermembran.
Der ständige Leichenregen im See.
Sie hatte das Gefühl, ständig einatmen zu müssen. Lang und schwer war ihr Atmen. Wie das Stöhnen eines gigantischen Urtieres kam er ihr vor. War sie krank? Ihre Augenlider wurden schwer und obwohl sie mit aller Kraft versuchte, dagegen an zu kämpfen, musste sie ihre Augen für ein paar Sekunden schließen.
Als ob das in diesem Dämmerlicht der Armaturen und Instrumente, die niemand verstand, einen Unterschied machen würde. Alles kippte nach vorne. Horizontale Streifen. Die Schwerkraft setzte nur verzögert ein.
Keine Alarmsirenen.
Kein Ton außer dem vertrauten Trommeln.
Eine Zeitreise durch die Fließgewässermorphologie.
Alle Flüsse münden ins Meer. Oder in einen See. Oder sie trocknen aus, auf der Suche nach Auen, Alt- und Totarmen, in denen die allgegenwärtige Verwesung nur langsam voranschreitet, modrig im feuchten Sonnenlicht des Spätsommers.
Kein Sonnenstrahl erreicht je das Hypolimnion.