_

And all that could have been

Du sitzt im Zug (mal wieder!) und denkst, dass du wieder etwas schreiben möchtest. Anderseits überwiegt das Gefühl, sich nicht mit der momentanen Situation beschäftigen zu wollen.

Dein Spiegelbild im Fenster wirkt fremd, eine andere Person, die du merkwürdigerweise auch bist. Eigentlich hattest du ein Hörspiel hören wollen, um nicht denken zu müssen und von einer menschlichen Stimme getröstet zu werden. Und dann: iPod auf shuffle, Entdeckungsreise durch die Musikgeschichte.

Bedeutet ein Frisurenwechsel irgendetwas? Vielleicht repräsentiert ein kahler Kopf auch die Leere in dir, unbewusst, unterbewusst, gewusst?
Wobei »leer« vielleicht auch nicht das richtige Wort ist.

Es ist einfach das Gefühl, das da etwas fehlt, die Sophia, die Muse, ein mythologischer Nordpol, zu dem du dich drehen kannst, während du deine atheistischen Gebete sprichst.
Als ob das erstrebenswert wäre. In Wahrheit sind doch da ganz andere Dinge, die sich viel mehr gewünscht werden. Oder? Eigentlich weißt du das selbst nicht so genau. Alles sind lose Enden und Puzzlestücke und Scherben und Blut und Gedärme.

Ich möchte mein Universum wieder aufbauen und lustige, einfache Sci-Fi schreiben, aber ich kann das nicht, weil weil weil…
(Notiz an mich selbst: Zar enthaupten. Vielleicht auch Mond und Sterne.)

Das foucaultsche Pendel im Conservatoire des Arts et Metiers in Paris

Du hast das Pendel gesehen und bist davor zurück geschreckt. Alles, was bleibt, sind grobkörnige Fotos und die Gewissheit, dort gewesen zu sein, es gesehen und gespürt zu haben.

Vielleicht ist das auch der Grund. Nachdem du die allerheiligste Reliquie deiner Mythologie gesehen hast, bleibt da nichts mehr. Es sei denn, du könntest die Welt im Innern eines gigantischen Kampfroboters retten.

Das Gefühl der Ungewissheit ist der Gewissheit des Ungefühlten gewichen. Einsame Autofahrten durch dunkle Wälder, wütend-traurige Gespräche über Sinn und Zweck und Schmerz und Narben und die Dinge, die hätten sein können.

Immer, immer wieder dieses Bild der Wegkreuzung irgendwo am Waldesrand in M., die stellvertretend dafür steht, dass man immer nur einen Weg gehen kann und dir Geschichten, die hätten sein können, Bände in unsichtbaren Universitäten füllen und jedes Mal ein Paralleluniversum bevölkern.

Alle Bibliotheken sind voll mit Büchern, die du nie lesen können wirst, voll mit Geschichten, die dein Herz nie berühren, deine Inspiration nie nähren werden.
Und dennoch möchtest du nur noch welche schreibe, um ein weiteres Regal zu füllen.

Lichter funkeln in der Dunkelheit. Tote Sterne oder weit entfernte Städte? Vielleicht letzten Endes das Gleiche: Orte, die du nie besuchen wirst.

Und dennoch geht die aussichtslose Reise zum Fixpunkt des Lebens weiter.

[0808042250]

[0402082008]

»Musik«, denkst du, »Ich kann keine Musik mehr hören!«, und der Gedanke klingt als würdest du über irgendetwas reden, mit dem du dich überfressen hast.
Trotzdem ziehst du sofort die Kopfhörer an. Abschottung um jeden Preis. Eine dünne Schicht Geräusch umgibt dich wie eine schützende Fruchtblase. Abkapslung von der akustischen Realität. Vor allem kein Geschwätz mehr. Nur noch stumme Bandansagen im Zug, stumme Klingeltondiskos von Halbstarken, stummes Großmüttergeschnatter und stumme Stammtischparolen. Die Welt ist sehr viel erträglicher so. Wie immer, wenn man sich seine eigene Realität formt ?

Als du in den Zug gestiegen bist, hat dich ein Mädchen angesehen. Auf den ersten Blick zu jung, und du kannst nicht einmal sagen, was dieser Blick denn jetzt heißt. Auf jeden Fall scheint da irgendeine Form von Interesse zu sein. Aber du siehst dir auch immer die Junkies am Bahnhof mit einer gewissen Form von Interesse an. Du könntest dich sofort setzen, es gibt genügend freie Plätze, aber nein, du musst an ihr vorbei. Nur, um diesen Blick nochmal zu sehen. Egal, was er heißt. Das ist weder romantisch, noch neugierig, das ist einfach nur furchtbar egozentrisch ? und damit schon fast wieder arm.

Das Klicken von elektronisch per Chipkarten gesteuerten Türen. Schließen.
Déja-Vue. Déja-Entendu wohl eher. Kurze Haare, orange Rahmenbrille.
Das Bett gegenüber. Wieder eine Erinnerung. Die schlimmste Nacht deines Lebens.
Du hast die Brücke über den See damals nicht gefunden gehabt.
Dieses Mal sollte alles anders sein. Keine Versuchung, kein Drama.

Und all die Sinnlosigkeit summiert sich in einem einzigen langen Tunnel, durch den der Metawurm sich frisst. Diesmal ist es eher eine Made. Die Dunkelheit wirkt nicht einmal mehr bedrohlich. Alles ist so seltsam klar, als ob man die Welt durch eine frisch gewaschene und auf Hochglanz polierte Scheibe sieht. Oder wie mit eklig glänzender Gelatine überzogen.
Im Hintergrund artikuliert jemand laut Buchstaben, die Musik wirkt immer unheimlicher, während die Realität zu Kunstharz zerfließt und erstarrt. Geschmolzene Bakelittelefone pflastern den Weg des Autors, der jetzt völlig übergeschnappt ist.

Night Train

Der Nachtzug als grosses Ungeheuer in der Nacht. Du verlierst jedes Gefühl für Richtung oder Orientierung, da sie den Zug ständig herumdrehen. Ein langer, stöhnender, ächzender, metallischer Levitan frisst sich durchs Land. Wäre die Lokomotive nur mit Diesel betrieben gewesen! Das ganze hätte noch sehr viel martialischer gewirkt, mit dem Ständigen Auf und Ab der Kolben.
Die Sterne sind deine einzigen Begleiter, wenn die Maschine dich in deinem Bett herumwirft, du verwirrt aufwachst und dich verwirrt daran zu erinnern versuchst, wann dich das letzte Mal der Mittagsdämon heimgesucht hat.

Metawurm

Du bist zusammen mit fünf anderen Personen in diesem kleinen, schmalen Abteil. Jemand schnarcht. Eine Person kommt – wo auch immer sie die Nacht verbracht haben mag, zurück und du riechst eine ganze Stange gerauchter Zigaretten. Wie viel muss ein Mensch rauchen, um so nach Rauch und Asche und stinken? Erst nach fünf Minuten nimmt deine Nase nichts mehr wahr.
Verwirrt suchst du deinen Weg auf die Toilette. Da die grosse Behindertentoilette besetzt ist, musst du wohl oder übel die für „normale“ Personen aufsuchen. Hier schwebt ein Hauch von Urin in der Luft, vielleicht klebt er auch einfach vertrocknet am Boden. Du stellst dich seitlich vor das Klo, weil du dich hier nicht setzen willst und vor dem Klo kein Platz ist.
Auch eine neue Erfahrung.
Irgendwann in der Nacht hast du eine Sternschnuppe gesehen, deutlich wie schon lange nicht mehr. Nach kurzem Überlegen (und doch eigentlich sofort!) hast du dir einen Kuss von I. gewünscht. Ist dies nun ein Geständnis? Wenn überhaupt, dann war es eins, während der Folter der Maschine in der Nacht erzwungen. Die Grenze. Irgendwie bedrohlich, der lange Stopp, dazu deine irrationale Angst vor Passkontrollen. Du bildest dir ständig Bewegung ein, glaubst, das Arbeiten der Maschine zu hören. Aber welche Kolben sollen da langsam anlaufen, zum ewigen Kreislauf Ansaugen, Verdichten, Verbrennen, Ausstossen, wie Atmung, Verdauung und Reproduktion in einem. Die Maschine hat kein Sperma, keinen Uterus, und trotzdem fickt sie.
Und dennoch, das Schnaufen ging weiter. Vorbei an Windmühlen. Friedlich. Hoffnung im eisern Griff des Halbschlafes und des Keuchens dieses metallischen Wurms. Meta-ll. Metawurm. Meta für Meter.

Am Morgen dann, der eigentlich noch Nacht ist, fahrt durch urbanes und suburbanes Gefilde. Fast schon behutsam kriecht der Metawurm durch die Dunkelheit. Durch namenlose Bahnhöfe zwischen den grossen Städten, wo nur ein paar müde, vom faden Licht der Bahnhofsbeleuchtung merkwürdig in Szene gesetzte Frühreisende stehen, von grossem Abenteuer der Reise durch die Nacht verkündend. Mord im Orientexpress, Transsibirische Eisenbahn, Norddeich-Mole, Kopenhagen-Düsseldorf.
Zum Abschied winkt die Schaffnerin mit leichtem Akzent.

Photo cc by blogeescht

Es ist mal wieder Zeit für ein Räucherstäbchen.
Räucherstäbchen an, Licht aus.

Es ist ein wenig wie ein Drogentrip. Obwohl du natürlich nicht weißt, wie ein Drogentrip sich wirklich anfühlt. Das kalte Licht des Monitors kommt ein wenig auf dich zu und nimmst nur noch ihn war, die Dunkelheit um dich herum verschwimmt. Von rechts kommt der Geruch des Räucherstäbchen, der dich beruhigt und auf eine merkwürdige Art und Weise stimuliert.

Da ist der Drang zu schreiben, obwohl du jetzt noch nicht einmal weißt, worüber überhaupt. In deinem Kopf wirken tausende kleiner Zahnräder. Eine große Lorenzmaschine, die dein Unterbewusstsein chiffiert und wieder dechiffiert. Neugestaltung der Realität. Decomposing Composers. Das große Manifest derer, die nicht wissen, was sie schreiben, wenn sie anfangen und nicht zufrieden sind mit dem, was sie nicht geschrieben haben, wenn sie fertig sind.

Duft. Der Geruch von Braten mitten im Wald. Zitronenduft bei 3-Punkt-Hebelentastung. Osmose und die 66 Reiter der Postapokalypse schweben auf einer sanften Brise zurück ins Tal. In welches Tal?
Du bist verliebt in eine Person, die du noch nie gesehen hast, mit der du noch nie kommuniziert hast, von der du nicht einmal weißt, wer sie eigentlich ist. Ein Ideal. Eine Idee, die über allem steht. So lange sie nicht mit der Nase über den Plopschutz reibt und mir meine CDs zurückgibt, wenn ich ihr was leihe, ist alles gut. Where is my Mind hören und sterben.
Als ob allein Sex glücklich machen würde.

Du wirst diesen Text nie wieder entschlüsseln können. Kryptographie des Geistes. Codewort: SEELE. Keel Lorenz ist ein furchbar einsamer Mann, denn er kann nur verschlüsselt werden.
In die Tasten einer Schreibmaschine der 60er Jahre hauen, mit voller Wucht, so dass es klack-klack-klack macht und du hörst, wie Literatur entsteht, unter deinen Fingern, in dem Mechanismus der Maschine. Eine Hermes Baby, wie Faber eine hatte, im Flugzeug in der Wüste. Die ganze Zeit tippend. Klack-klack-klack, und mit jedem Klack entstand ein neues Wort sich ständig wiederholender Literatur unter seinen Fingern, durch den Mechanismus.

Wie kann Literatur denn überhaupt aus Nullen und Einsen entstehen?
Ist sowas denn möglich, wenn es keinen Mechanismus mehr gibt? Als ob Mechanik je Probleme gelöst hätte. Die Zahnräder in deinem Kopf sind nicht geölt.

Ich erwachte nackt neben ihr
. Sie war erstaunlich zärtlich zu mir gewesen, was ich mir von ihr nicht erwartet hätte. Aber eine große Klappe verhindert nicht, dass man auch ein großes Herz haben kann. Sie hat dich von Anfang an angezogen, und je mehr Gemeinsamkeiten du entdecktest, desto mehr hat sie dich angezogen. Wie ein großer Magnet ein nach Licht suchendes Insekt, was eine völlig unzulässige Metapher ist.
Aber auch das ist noch lange keine Literatur, selbst wenn es einen Mechanismus geben sollte.
Mechanik hat noch nie geholfen.

Metamechanik. Du siehst dich selbst als Tröster der Betrübten, obwohl du in den schwiergen Situationen selbst nicht mehr weißt, was du sagen sollst und hoffst, dass es genügt, einfach nur da zu sein. Was letztendlich Quatsch ist, denn du denkst immer mehr und öfters daran, zu umarmen. Als würde eine simple Umarmung alles, was gesagt werden muss, ausdrücken.
Die Wahrheit steckt viel tiefer.

Es gibt keine Liebe in dir?
Woher willst du das wissen? Du bist weder ein Heiliger noch bist du jemand, der sich besser auskennt als alle anderen. Klassenfahrt in den 6. Kreis der Hölle. Kreuzfahrt auf dem Styx.
Und dennoch: Den Blick ständig zum Himmel, zu den Sternen, den Wolken, zu allen Gestirnen und Wetterformationen, denn dort willst du hin. Verrückt anzunehmen, jemand würde das Wetter wegen dir verändern, aber es scheint so.

Keine Rettung für jemanden ohne Maschine. Es ist keine Muse weit und breit. Aber das hällt dich nicht davon ab, zu schreiben.
Einziger Fehler: Du solltest dich vorher betrinken.

sentimental sway

In den tiefen Schacht, in dem sitzt, fällt Mondlicht und spiegelt sich auf der schwarzen Wasseroberfläche.
Aus der Ferne hörst du Musik. Ein dichtes Gewebe aus weißem, feinen Gaze spinnt sich langsam um dich, umhüllt dich so weit, dass bloss noch die Augen frei bleiben.
Du fällst in das Wasser und sinkst langsam nach unten.
Merkwürdigerweise bekommst du noch Luft. Nichts verletzt dich.

XX/Y

And I said I wanna fill you up, I wanna break you, I wanna give you up
From one another, no one should ever come
In between us, between us and our love

Und sprich nur ein Wort, und meine Seele stürzt sich in einen tiefer Abgrund. Ich muss kurz in den Keller, was holen.
Die Stufen sind kalt und du spürst die kleinen Quadrate im dunkelgrauen, schmutzigen Beton. Ein unguter Geruch, eine Mischung aus Waschpulver, muffigem Kellergeruch, Staub und Petroleum, schlägt dir entgegen. Die Stufen verwandeln sich in eine Wendeltreppe, aus dem Keller wird eine aus rotbraunen Ziegelsteinen gemauerter Schacht. Unbewusst nimmst du wahr, dass du einen Schornstein heruntersteigst, der in eine Fabrik tief im Erdinnern führt.

Du kannst das Scharren der Maulwürfe und der Engerlinge hören. Nackte, lebendige begrabene Leichen kratzen an den roten Steinen. Hilflos. Hast du eine Fackel? Eine helle LED-Taschenlampe?
Vielleicht ist es auch nur das Licht deines Mobiltelefons, das hier unten keinen sonstigen Zweck mehr erfüllt. Aber die Treppe führt nicht zu einem Teilchenbeschleuniger unter der Schweiz.

Das Scharren hört auf, je tiefer du kommst. Dafür hörst du eine bekanntes unhörbares Geräusch. Das Pendel. „Oh mein Gott!“, denkst du und glaubst einen geheimen Gang zu gefunden zu haben, der das hyperboerische Avalon mit Ayers Rock mitten in der australischen Wüste verbindet, gefunden zu haben. Dies muss einer der rituellen 23 Eingänge sein. Aber warum befindet er sich in deinem Keller?

Wasser. Das Mondlicht spiegelt sich auf seiner schwarzen Oberfläche. Vielleicht es auch bloß eine käsige Glühbirne. Ist überhaupt Vollmond? Du tauchst weiter unter. Der Schacht ist jetzt wieder aus Beton. Oder ist es Lehm? Spitze Stöcke aus Holz stecken drin, mit Algen und Moos überwuchert. Von irgendwoher strömen Luftblasen.

Mehrheitsgefühl in Luftblasen. Konjugierende Pantoffeltierchen. Sex auf der Couch. Bring me that horizon! Findest du hier letztendlich eine Meerjungfrau, die dir Muse sein will?
Skalpelle mitten durch das Herz. Adrenalin. Pulsierendes Bläschen. Osmose und die 88 Räuber der Postapokalypse. Beginnen wir, nur noch in Großbuchstaben zu reden. Der Reiter hat Stil. Angst und Schrecken in einem dunklen Wort.

Soll dies das Ende sein? Ein Blick nach oben lässt das Mondlicht nur noch erahnen. Spitze Stäbe, aus Holz und Metall überall. Algenbewuchs verhindert eine tödliche Spitze nicht.
Keine Sterne über dir. Ewiger Winter über E. Du bewohnst ein kaltes, graues Loch ohne Hoffnung auf Sonnenschein, geschweige denn auf Sternenlicht.
Irgendetwas zieht dich nach unten. Dort lauern sicher Raubfische oder gar Seeungeheuer auf ihre nächstes Mahl. Haben Muränen Spaß beim Sex? Dabei isst du doch nicht mal Fisch.

Unausgesprochene Vorwürfe gegen einen Engel. Dabei war der Buchstabe immer schon schlecht. Wollen wir etwa wieder das alte Spiel spielen, obwohl es schon fast ewig neue Regeln zu geben scheint?
Keine Rettung für dich heute.

All my blisters now revealed
In the darkness of my dreams
In the spaces in between us