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Verkrampfung

verkrampft

Jaja, lacht ihr nur!

Auch der Geist kann verkrampfen. Auch wenn meiner meistens ein lauter, stürmischer Schreihals ist, der es gar nicht erwarten kann, Wörter abzusondern, so gibt es auch Zeiten, in denen der „Schreibmuskel“ verkrampft ist und gelockert werden muss. Das ist nicht immer einfach, aber oft hilft es schon, auf richtiges, echtes, aus Bäumen gemachtes Papier zu schreiben und während einer Reise den Geist fliegen zu lassen – in alle möglichen Richtungen, ihn zu stimulieren mit allen Sinnen. Insofern ist es nur richtig, sich Gedanken über kommende Tote zu machen. Manchmal muss man aber auch einfach möglichst verschwurbelt darüber bloggen, damit sich andere darüber aufregen, man würde nur noch über Schreibblockaden, die überhaupt keine sind, bloggen. Da wirkt die Muskel-Metapher gar nicht mehr so dumm, immerhin haben wir alle irgendwelche Antagonisten.

Vielleicht fängt man am Besten mit der eigenen Leiche an. Nicht jener, die man im Keller – oder, und das ist sicher auch oft der Fall, auf dem Dachboden liegen hat, sondern mit der, die man einmal sein wird. „Alle Zeit, die wir haben, ist jetzt …“ Gedenke deines eigenen Todes!

Aber es ist doch Sommer! Da möchte man nicht an Leichen denken, lieber an Froschlaich, aber der ist jetzt auch schon geschlüpft oder gegessen.
Ja, denken wir an Froschlaich und erfreuen uns des Sommers, der da fröhlich vor sich hin plätschert, wenn es gerade mal nicht trocken ist.

Wer mag schon im Regen stehen, wenn er auch sitzen kann? So setzen wir uns, irgendwo im gott- und menschenverlassenen Osten unter das Vordach einer maroden Schule, in der niemand mehr lehrt oder lernt. Der Regen hat nichts bedrohliches. Er ist, im Vergleich zu Welle der Gefühle in uns allen, nur Hintergrundrauschen.
Wer beschwert sich im Anblick seiner eigenen Hinrichtung schon über das Wetter?

photo cc by Martin Sordilla

Moor

Du sitzt im Bus, der geduldig wie ein altes großes Tier, ein Mammut oder Rhinozeros, über das Land fährt. Die silbergraue Karosserie trotzt dem strömenden Regen und dem peitschenden Wind, während der Bus mit stoischer Ruhe jede Haltestelle abfährt, ohne jemanden mitzunehmen. Vor einer Stunde ist der letzte Reisende zugestiegen. Wie lange du selbst berreits fährst, wagst du gar nicht zu rechnen. Du siehst den Regentropfen zu, die sich wegen dem starken Wind Spermatozoiden ähnlich horizontal über die Scheibe bewegen.

Moor cc by burtonwoodandholmes

Irgendwann bist du angekommen. Im Nirgendwo. In der Pampa, möchte man sagen. In Wahrheit stehst du an einem Moor, durch dessen Kanäle nachts angeblich Fischotter schwimmen.
Es regnet noch immer. Dicke Tropfen auf deiner Brille. Du kannst förmlich spüren, wie sich das Moor, die gesamte Landschaft mit Wasser vollsaugt. Ein gigantischer geologisch-biologischer Schwamm.

Es ist so friedlich hier. Der Regen schluckt jedes Geräusch, nur das einzelne Rufen eines dir unbekannten Vogels ist von Zeit zu Zeit zu hören. Du bist völlig durchnässt. Junge Fischotter sind angeblich wasserscheu. Du atmest tief ein, riechst die torfige Luft.
Ein letzter Atemzug.
Ein schöner Ort, um zu sterben.

[0803122202] (Image cc by burtonwoodandholmes)